Interview - Fratzscher: Gesenkte Mehrwertsteuer nicht mehr gerechtfertigt
Wegen der schwierigen Lage in der Pandemie galt für die Gastronomie seit Juli 2020 ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Die Regel soll zum Jahresende auslaufen, doch Branchenvertreter fordern eine Fortsetzung. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht das anders.
Wochenlange Schließungen und strenge Auflagen - in der Corona-Pandemie war das Gastgewerbe besonders schwer gebeutelt. Deshalb galt drei Jahre lang ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Speisen von sieben Prozent. Nun soll die Ausnahmeregelung zum Jahresende auslaufen, danach wäre wieder der volle Satz von 19 Prozent fällig. Doch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga fordert eine Verstetigung der niedrigeren Steuersätze.
Fratzscher: Entlastungen helfen vor allem Besserverdienenden
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), widerspricht. Die Rechtfertigung des ermäßigten Steuersatzes - die Situation in der Pandemie - sei nicht mehr vorhanden. Damit gebe es keinen Grund mehr, warum genau diese Branche begünstigt werden solle und nicht eine andere.
Dazu komme: "Es würde vor allem Besserverdienenden helfen", sagt Fratzscher. "Die steuerliche Entlastung von 19 auf sieben Prozent kommt vor allem den Kunden zugute." Und das seien in der Gastronomie nicht die Geringverdienenden, sondern Menschen mit ausreichend Einkommen. Der vergünstigte Steuersatz erzeuge daher eine soziale Schieflage.
Fratzscher: Drei Milliarden weniger Steuereinnahmen
Durch die niedrigere Mehrwertsteuer gingen dem Staat rund drei Milliarden Euro pro Jahr verloren. In Zeiten, in denen die Politik hart darüber streite, wofür welches Geld ausgegeben werde, sei das keine Kleinigkeit. "Es gibt keinen guten Grund, weshalb die Gastronomie Vorrang haben sollte vor beispielsweise einer Entlastung bei der Mehrwertsteuer für gesunde Nahrungsmittel in Supermärkten - das würde den Menschen mit am wenigsten Einkommen viel stärker helfen als eine Entlastung in der Gastronomie", sagt Fratzscher.