Interview - Übergriffe im ÖPNV: "Die meisten Männer sind blind dafür"
Im Öffentlichen Nahverkehr erleiden Frauen häufig verbale und körperliche sexualisierte Gewalt. Damit sich daran etwas ändert, müssen sich die Männer verändern, sagt Christoph May, der Workshops zur kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit gibt. Dafür müssten viel zuerst ein Bewusstsein für die Lebensrealität von Frauen entwickeln.
Penetrante Blicke, anzügliche Sprüche oder sogar Berührungen – für viele Frauen gehört das in Bus, Bahn und Tram zum Alltag. Laut Berliner Kriminalstatistik fanden im vergangenen Jahr 447 Sexualdelikte im öffentlichen Nahverkehr statt – ein Anstieg um zehn Prozent im Vergleich zu 2021. Die BVG verweist allerdings darauf, dass die Fahrgastzahlen im gleichen Zeitraum um 26 Prozent zugenommen haben.
In Brandenburg wurden im vergangenen Jahr 83 Sexualdelikte an Bahnhöfen, Haltestellen sowie in Bussen und Bahnen registriert – dazu gehören körperliche sexuelle Belästigungen bis hin zur Vergewaltigung. Die tatsächliche Zahl könnte allerdings viel höher sein, da nur ein Bruchteil der Übergriffe gemeldet wird. Die Täter sind in der überwältigenden Mehrheit der Fälle Männer.
May: Männer müssen lernen, zuzuhören
Laut dem Männerforscher Christoph May bemerken die meisten von ihnen nicht einmal, dass sie übergriffig werden. Das liege daran, dass sie selbst so gut wie nie von sexuellen Übergriffen im öffentlichen Raum betroffen seien. "Männer machen einfach diese Erfahrung nicht und sehen das infolgedessen auch bei anderen nicht", sagt May.
"Die meisten Männer sind blind dafür", betont der Männerforscher. Gerade deshalb sei es wichtig, dass Männer sich mit der Lebensrealität von Frauen auseinandersetzen. Das sei Bestandteil der Workshops, erklärt May. Es sei wichtig, dass in den Kursen immer auch Frauen anwesend seien, um die weibliche Perspektive wiederzugeben. Männliche Teilnehmer seien häufig überrascht von den Erzählungen, so May: "Viele Männer müssen erstmal lernen, zuzuhören."