Interview - Wirtschaftsforscher: Aktuelle Zahlen mit Vorsicht bewerten
Das Bruttoinlandsprodukt stagniert im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das hat das Statistische Bundesamt mitgeteilt. Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, äußert sich optimistisch und rät zur vorsichtigen Interpretation der Zahlen.
Vor der aktuellen Stagnation war die deutsche Wirtschaftsleistung geschrumpft - zwei Quartale in Folge. Trotzdem spricht Wirtschaftsforscher Oliver Holtemöller von einer guten Nachricht. "Und es gibt sogar noch mehr gute Nachrichten", sagt der Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. "Denn in der August-Meldung des Statistischen Bundesamtes werden auch die Zahlen revidiert für die Zeit davor."
So seien die Zahlen für das erste und das vierte Quartal 2023 nach oben korrigiert worden. Das liege daran, dass immer neue Informationen eingearbeitet würden, erklärt Holtemöller. So habe man etwa kurz nach Quartalsende noch gar nicht alle Daten, die benötigt würden, um das Bruttoinlandsprodukt abschließend zu berechnen. "Da fließen ganz viele Schätzungen ein", so der Experte. "Und jetzt dauert es vier Jahre, mit mehreren Revisionen, bis wir das endgültige Ergebnis kennen."
Konjunktur und langfristiges Wachstum auseinanderhalten
Die Politik der Ampelkoalition für die kurzfristigen konjunkturellen Schwankungen verantwortlich zu machen, halte er für weithergeholt, sagt der Wirtschaftsforscher. Denn man müsse die Konjunktur und das langfristige Wirtschaftswachstum auseinanderhalten. "Da sind andere Faktoren wichtiger", meint Holtemöller und nennt die hohe Inflation als Beispiel.
Er rate generell "zur Vorsicht bei der Interpretation der Zahlen", so Holtemöller. Das gelte auch für den Vergleich mit anderen Ländern. "Wenn man sich die längerfristige Entwicklung anschaut, dann ist Deutschland zum Beispiel auch durch die Pandemiejahre relativ gut durchgekommen", erklärt der Wirtschaftsforscher.
Allerdings müsse man einräumen, dass Deutschland in drei wichtigen Bereichen im europäischen Vergleich hinterherhinke: bei der Digitalisierung, der Dekarbonisierung und der Demografie. "Das kann man der handelnden Politik natürlich schon anlasten", sagt Holtemöller.