Interview - Politologe: "Haben Brutalität Putins unterschätzt"

Es gebe schwere Versäumnisse des Westens, sagt Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle-Wittenberg. Man habe Russlands Forderung nach einem "Sicherheitsgürtel" nicht ernst genug genommen.

"Offenkundig haben wir die Entschlossenheit und auch die Brutalität Putins unterschätzt", erklärt Varwick. Dieser habe anscheinend bereits ein "Drehbuch" in der Schublade gehabt. Darauf hätte der Westen durchaus Einfluss nehmen können - etwa wenn man ernsthafter mit Russland über eine Neuordnung der europäischen Sicherheitspolitik verhandelt hätte, so der Politikwissenschaftler.

Das müssten allerdings irgendwann die Historiker beurteilen, sagt Varwick: "Fest steht: Das Kind ist in den Brunnen gefallen und wir haben Krieg in Europa und das ist die allerschlechteste Option, die man sich denken kann."

"Eskalationspotential noch nicht ausgeschöpft"


Für Russland sei es ein "vitales Interesse" gewesen, die Ukraine als "eine Art Sicherheitsgürtel" zu haben, in dem keine westlichen Truppen stationiert sind und für den eine NATO-Mitgliedschaft ausgeschlossen ist, so der Politologe.

"Das haben wir nicht richtig verstanden", sagt Varwick. "Und Staaten sind bereit, für vitale Interessen Krieg zu führen." Es sei ein schweres Versäumnis des Westens, dass er keinen Interessenausgleich in Erwägung gezogen hat. Russland strebe offenbar einen Regimewechsel in Kiew an.

"Wir müssen aber auch sehen, dass das Eskalationspotential dieser Krise damit noch nicht ausgeschöpft ist", so Varwick. "Wir haben es mit einer Nuklearmacht zu tun, mit einer jetzt wirklich unberechenbaren Nuklearmacht." Allein deshalb müsse man künftig weiter das Gespräch mit Russland suchen.