Unterricht in der siebten Klasse der Merianschule in Berlin-Köpenick - Foto: rbb Inforadio/Dominik Lenz
Kathleen Scherbarth beim Englisch-Unterricht in der siebten Klasse der Merian-Schule

- Sekundarschule in der Praxis

Weg mit dem Stigma der Hauptschule, dem Abstellgleis für die Gescheiterten, das war das Ziel der Sekundarschule, als sie vor gut zwei Jahren in Berlin eingeführt wurde. Wie das in der Praxis aussieht - Dominik Lenz hat nachgefragt.

Englisch-Unterricht in der siebten Klasse der Merian-Schule in Köpenick. Kleine Spieleinheiten wechseln mit Gruppenarbeit, Frontalunterricht, Grammatik- und Konversationsübungen. Ein Vorzeige-Unterricht in einer Vorzeigeklasse, der alle Wege offen stehen.

Schülerin: "MSA ist wichtig, also Mittlerer Schulabschluss. Und dann kann man sich ja immer noch überlegen, ob man Abitur macht."
Schülerin: "Wir haben 13 Jahre und nicht nur 12 und müssen uns nicht so stressen. Am Ende haben wir aber die gleichen Voraussetzungen wie die andern auch."

Die 21 Mädchen und fünf Jungs arbeiten gut mit, helfen sich gegenseitig. So soll es sein an der Sekundarschule, sagt die Lehrerin Kathleen Scherbarth. Mitunter steht sie aber vor einer Klasse, in der sie zwischen Hauptschul- und Gymnasialniveau auf alle Bedürfnisse eingehen muss.

Kathleen Scherbarth: "Natürlich gibt es wie an jeder anderen Schule auch Schüler die aufgefangen werden müssen und das machen wir ab diesem Schuljahr mit einer reinen Binnendifferenzierung."

Binnendifferenzierung ist  d a s  Schlagwort der Sekundarschulen: egal welches Leistungsniveau - alle lernen in einer Klasse und jeder Schüler wird individuell gefördert. Das ist ansich nichts Neues: Grundschulen machen genau das schon immer. Doch gerade in den höheren Klassen ist das mitunter kaum zu schaffen, sagt  Mittelstufenleiterin Renate Bube: "Wenn man sich vorstellt, dass man jedem Kind gerecht werden soll und am Tag vielleicht 150 Kinder durch die Hände eines Kollegen gehen, dann ist das äußerst kompliziert."

Die Angst vieler Eltern und Lehrer vor Einführung der Sekundarschule war, dass sich eine besonders heterogene Klasse zwangsläufig an den Schwächsten orientieren muss. Das ist längst Realität meint die Lehrerin einer anderen Berliner Sekundarschule: "Wir haben früher die Schüler zum Gymnasium führen können ohne Probleme, davon sind wir meilenweit entfernt."

Das liegt mitunter auch daran, dass viele noch mit dem neuen System fremdeln. Immerhin war die Hauptschule für alle anderen eine Möglichkeit, schwache Kinder abzugeben. Jetzt MÜSSEN sie mitgenommen werden, Sitzen-Bleiben gibt es nicht. Manche Lehrer, aber auch Eltern gerade von starken Schülern wünschen sich da die alte Dreigliedrigkeit zurück.

Die Reform muss auch in den Köpfen ankommen, fordert Professor Kai Maaz von der Universität Potsdam, der die Berliner Sekundarschule wissenschaftlich begleitet: "Es wäre vermessen zu denken, man stellt nur die Struktur um, legt zwei Schulen zusammen und löst damit die Probleme des Bildungssystems."

Ob dem Siebtklässler einer Sekundarschule alle Wege offen stehen, hängt darum im Moment vor allem davon ab, welche Schule er besucht - Kai Maaz: "Es wird Schulen geben, die hoch attraktiv sind, möglicherweise attraktiver als manches Gymnasium, es wird Schulen geben, die im mittleren Bereich liegen und es wird Schulen geben, die weniger attraktiv sind."

Michael Rudolph - Foto: rbb Inforadio/Dominik Lenz
Schulleiter Michael Rudolph
Besonders wenn die Sekundarschule in einem Problembezirk liegt und mit Frust und Lustlosigkeit der Schüler zu kämpfen hat, beginnt ein Teufelskreis, sagt Michael Rudolph, Schulleiter der Friedrich Bergius Schule in Friedenau: "Die Erfahrung lehrt, dass Eltern von leistungsbereiten Schülern sehr schnell die Flucht ergreifen, wenn bestimmte Dinge in der Schule nicht funktionieren."

Damit seine Schule funktioniert hat er klare Regeln und empfindliche Strafen eingeführt, zum Beispiel fürs Zuspätkommen. Nur so kann er die Schüler halten die lernen wollen und die braucht er, um erfolgreich als Sekundarschule arbeiten zu können. Auch an der Bergiusschule wünscht man sich mehr Personal, mehr Interesse der Eltern und vor allem eines: in Ruhe gelassen zu werden - Michael Rudolph: "Wir haben jetzt verschiedenste Reformen gehabt und man sollte jetzt einfach die Schulen mal arbeiten lassen."

Schule ist der Spiegel der Gesellschaft sagt Michael Rudolph. Für Berlin ist das derzeit kein Kompliment.

 

Beitrag von Dominik Lenz

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Ein Mädchen vor einer roten Ampel (Bild: dpa - Montage: rbb)
(Bild: dpa - Montage: rbb)

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