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Fast 95 Prozent aller Berliner Kinder gehen in eine Kita - und trotzdem sprechen viele nicht richtig deutsch, wenn sie eingeschult werden. Julia Harbeck wollte wissen, warum das so ist:
Die evangelische Kita Stephanus in der Soldiner Straße nimmt Sprachförderung ernst: Jeden Tag werden Sprachübungen zum Alltag der Kinder gemacht. Der 6-jährige Ali erzählt seiner Sitznachbarin, was sie für das geplante Adventsfrühstück einkaufen wollen: "Eier, Käse, Brot, Maarlade ..."
Das Wort "Marmelade" klappt noch nicht so gut, und er sagt "isch" statt "ich", aber Ali gibt sich Mühe und spricht auch zuhause Deutsch. Im Soldiner Kiez ist das nicht selbstverständlich, sagt die Erzieherin Manuela Schulz. Von den 18 Kindern, die sie betreut, kommt nur eins aus einer deutschen Familie. Manuela Schulz macht regelmäßig Fortbildungen zur Sprachförderung und weiß, was Erwachsene beim Sprechen mit Kindern falsch machen: "Wir sprechen oft in verkürzten und einfachen Sätzen, in zu kurzen Dialogen, in denen nicht begründet wird, warum sich ein Kind beispielsweise die Hände waschen soll. Die Kinder sollten die Möglichkeit haben, Rückfragen zu stellen, um selbst an dem Gespräch teilzunehmen."
Alltagsintegrierte Sprachförderung nennt man das. Es gibt aber auch andere Konzepte. In Berlin darf jede Kita selbst entscheiden, wie sie Kinder beim Deutschlernen unterstützt. Ob die Förderung funktioniert, wird nicht erhoben.
Erste Studien weisen aber darauf hin, dass alle bisherigen Förder-Konzepte praktisch nutzlos sind - so die Erkenntnis der Wissenschaftler um Tanja Kiziak vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: "Das Kita-Personal ist zwar sehr bemüht, hat aber nicht immer die ausreichende Qualifikation und die notwendige Zeit, um richtig gute Sprachförderung zu betreiben - das läuft eben nicht einfach so nebenbei. Man muss den Erzieherinnen auch die Methoden an die Hand geben, ihnen Sprachlehr-Strategien aufzeigen und immer wieder üben, wie gute Sprachförderung abläuft."
Dass sie offenbar nicht gut läuft, weiß man in Berlin schon lange: Seit 2008 muss jedes Kind ein Jahr vor der Einschulung einen Sprachtest machen. Das Ergebnis: Fast jedes fünfte Kind spricht nur ungenügend Deutsch - auch wenn es vorher mehrere Jahre in einer Kita war. Im letzten Kitajahr sollen diese Kinder noch mehr gefördert werden - wie, entscheidet jede Einrichtung selbst. Mehr Geld und Personal gibt es dafür nicht, kritisiert Tanja Kiziak: "In anderen Ländern ist das komplett anders: da ist schon viel früher versatnden worden, dass der Grundstein für die gesamte Bildungskarriere in der Kita gelegt wird."
In Berlin müssen die Erzieherinnen viel wertvolle Zeit für die Sprachlerntagebücher aufbringen, die die sprachlichen Fähigkeiten jedes Kindes dokumentieren. Die Erzieherin Manuela Schulz kritisiert aber, dass die individuellen Stärken der Kinder bei der Dokumentation keinen Platz finden: "Wir haben ein Kind, das gar nicht spricht - nur mit seinen Eltern -, und wenn wir für dieses Kind einen Bogen nach dem Stand des Kindergarten-Alltags ausfüllen müssten, könnten wir nirgends ein Kreuz dranmachen. Aber das Kind ist schlau, es kann mehrere Sprachen, ist aber sehr schüchtern. Von daher ist das Buch nicht besonders aussagefähig."
Zudem funktioniert die Weitergabe der Sprachlerntagebücher an die Grundschulen kaum. Nur wenige Lehrer hätten überhaupt Interesse daran, so die Erfahrung in der Weddinger Kita. Und weil es auch von Datenschützern Bedenken gibt, landet das Buch meistens bei den Familien, als schöne, bunte Erinnerung an die Kitazeit - nett, aber wirkungslos.