Der Garten kulturell

• Sterifzug durch die Gartenliteratur

  Garten als Ort der Selbstverwirklichung

  Ich fang mal da an, wo wir Mädchen früher in den 60er Jahren anfingen. Im Poesiealbum: "Sei wie das Veilchen im Mose, bescheiden, sittsam und rein und nicht wie die stolze Rose, die ständig bewundert will sein," so schrieben wir uns gegenseitig rein und klebten in alle vier Ecken kitschige Blumenbildchen.
  
  Cicero kannte ich damals nicht: "Wenn du einen Garten und dazu noch eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen," schrieb der römische Philosoph vor 2000 Jahren. Ich hielt es mit "Der geheime Garten" von Frances Hodgson Burnett. In einem verwilderten Paradies entdeckt ein vernachlässigtes reiches Mädchen die Freuden der Freiheit wie der Gartenpflege: "Sie genoss die Sonne, die jeden Tag schien und das Gefühl, dass niemand wusste, wo sie war. Die Mauern um den Garten beschützten sie und sie fühlte sich geborgen hier. (…) Voller Energie grub sie den Garten um und zupfte Unkraut aus. Endlich hatte sie etwas gefunden, dass sie voll und ganz erfüllte."

  Das gefiel mir. Der Garten als Ort der Selbstverwirklichung boomt bis heute. In Burnetts mehrfach verfilmten und zum Musical verarbeiteten über hundert Jahre alten Klassiker der Jugendliteratur ist er Synonym für Wachstum - auch des sozialen Bewusstseins.

  Garten als Symbol des Paradieses

  "Im Bett der Rose lag er eingeschlossen, Im Wechselschimmer ihrer zarten Seiten, Die taugebrochenen Strahlen schmeichelnd gleiten hinein zu ihm, von Geisterhauch umschlossen.“

  Bettina von Arnim stellte gehobenere Ansprüche an die Rezeptionsfähigkeit. Wie sie liebten die meisten Dichter der Romantik Gottes freie Natur und die Gärten als Symbol des Paradieses, allerhöchstes irdisches Glück versprechend. Doch gerade die Romantiker beschworen im Werden und Vergehen der Blütenpracht auch das Jenseits, wie Joseph von Eichendorff:

  "Und was weint ihr, Vater und Mutter, um mich? In einem viel schöneren Garten bin ich, Der ist so groß und weit und wunderbar, Viel Blumen stehn dort vom Golde klar, Und schöne Kindlein mit Flügeln schwingen Auf und nieder sich drauf und singen."

  Die blaue Blume

  Eichendorff war Schulstoff und stand daher im Verdacht eher etwas schwülstig zu sein. Doch die "Die blaue Blume", zentrales Symbol der Romantik, hatte es mir angetan: Wiederum ein einfaches Geschöpf, die Kornblume, als Symbol für Sehnsucht, Liebe und das Streben nach dem Unendlichen:
  
  "Es ist ja Frühling. Und der Garten glänzt
  vor lauter Licht.
  Die Zweige zittern zwar
  in tiefer Luft, die Stille selber spricht,
  und unser Garten ist wie ein Altar."
  (Rainer Maria Rilke)

  Von Schopenhauer und Nietzsche beeinflusst, spiegelt der poetische Neuerer Rainer Maria Rilke die Liebeserfüllung, bzw. Nichterfüllung in seinen Garten-Gedichten.
  

  Naturbeobachtung und lyrisches Ich

  "Die Sonne schleudert unbarmherzige Hitze
  Dem Grabenden auf den gebeugten Rücken
  Flüche hört er verschollener Gestalten
  Den uralten Kuckuck und das Gewese
  Der frommen einfältigen Lerchen
  Er sieht im weißen brechenden Licht
  Wolkenlos Gottes Thron, auf den Stufen
  Die heiligen Ackerpferde stehn
  Die nun allerorts fehlen."
  (Sarah Kirsch: Die Entrückung)
  
  In den siebziger Jahren entdeckte ich, wie viele in West-Berlin, die Lyrikerin Sarah Kirsch. In ihren Gedichten verschmilzt präzise Naturbeobachtung mit dem lyrischen Ich. Bis zu ihrem Tod hegte und pflegte Sarah Kirsch ihren großen bäuerlichen Garten in Schleswig-Holstein.

  Eine, die dass ein Vierteljahrhundert früher ganz und gar hochherrschaftlich tat, war die mich faszinierende Virginia Woolf-Geliebte, Vita Sackville-West. Ihren weitverzweigten Themen-Garten in Sissinghurst Castle, bis heute Natur- wie Kulturdenkmal, will ich unbedingt mal besuchen:
  
  "Es ist ein Schloss an meiner Tür
  "Privat" steht unten an den Stufen.
  Mein Garten, Fremder, mag Dich locken
  Und alle Wege stehn Dir frei.
  Doch bleibe fern von meinem Ort
  Ich bin zwar scheu doch unerschrocken."
  (Vita Sackville-West: "Mein Garten")

  Der Gärtner als Mörder begegnete mir zuerst bei Reinhard Mey in den 70ern. Da muss es sie also schon gegeben haben, die Krimis mit den Grünpflegern als Hauptverdächtigen. Die US-Amerikanerin Rosemary Harris hat die Schaufel umgedreht und mit der Figur der Paula Holliday eine ermittelnde Gärtnerin geschaffen. Eva Demski hat "Gartengeschichten" geschrieben und Wladimir Kaminer über sein "Leben im Schrebergarten".

• In Gärten gelesen

  "Noch überraschender aber war, dass Costa gar nicht vorhatte, die Tulpen anzupflanzen. Er hatte sie nur erworben, um sie weiterzuverkaufen, und rechnete fest damit, dass dieser Handel für ihn Profit abwarf."
  
  Das Klavier ist auf die Terasse geschoben, am runden Steintisch sitzt Harald Arnold, Schauspieler am Brandenburger Theater. Die Vögel überzwitschern ihn beinahe. Die Terrasse des Brandenburger Theaters ist jeweils Ort einer zweiten Lesung, die erste findet regelmäßig in wechselnden Gärten auf dem Lande statt:
  
  "Die Grundidee war ja, in Gärten zu gehen, in die der normale Bürger sonst nicht reinkommt, beispielsweise der Garten der Brandenburger Bank hier am Neustädtischen Markt oder auch privat bei Leuten, die ihre Gärten gerne mal aufmachen, aber natürlich nicht jeden Tag, und nicht für jeden, sondern nur fürs Brandenburger Theater und diese Lesereihe. Oder die Gärtnerei Mathias hier in Brandenburg, renommierte Gärtnerunternehmung, wo der Meister selber dabei ist und alles gerne selber vorbereitet, Wein verkauft, sich kümmert, wunderschöne Atmosphäre, da kommen die Leute auch gern zuhauf. Oder in Plaue am Rande von Brandenburg, der Schlosspark, der zwar öffentlich zugänglich ist, aber hergerichtet wird durch unsere Bühnentechniker."
  
  Jesko-Idler: "Das machen wir dieses Jahr das erste Mal zur BuGa, dass die Lesungen immer wiederholt wird hier im Theater. Sonst sind wir damit nur über Land gezogen. Und haben die umliegenden Dörfer bespielt, die Gärten der Stadt und der Dörfer."

  

  Frank Jesko-Idler ist Leiter des Künstlerischen Betriebsbüros am Theater, das die Reihe "In Gärten gelesen" seit 13 Jahren veranstaltet. In Potsdam entstand die Serie zuerst und auch da läuft sie immernoch.

  Jesko-Idler: "Das besondere dieser Lesung ist, dass nicht Autoren zu Wort kommen, sondern Schauspieler lesen. Wir haben einen Stamm von 12 Schauspielern, die immer abwechselnd lesen. Sehr verschiedene Autoren, das geht von Heinrich Heine über Fontane bis hin zu Elke Heidenreich, Mike Dash."

  Harald Arnold liest: "Schon damals wurden Costa und tausend andere Niederländer für verrückt erklärt, weil sie für gewöhnliche Blumenzwiebeln unglaubliche Summen auf den Tisch legten, doch in Wahrheit hatten die Tulpenhändler allen Grund, davon auszugehen, dass die von ihnen bezahlten Preise gerechtfertigt waren. Die wertvollsten Zwiebeln waren äußerst selten, und die Blüten, die sie hervorbrachten, höchst begehrt und außergewöhnlich schön."
  
  Harald Arnold ist seit Beginn der Lesereihe dabei, er sucht sich seine Texte selbst aus. Dieser Sommer ist, wegen der BuGa, ganz auf Blumen ausgerichtet: "Da fiel mir ein Buch in die Hände, das ich schonmal gelesen hatte, 'Tulpenwahn' heißt das, von einem englischen Historiker Mike Dash geschrieben. Der bezieht sich darauf, dass es im 17. Jahrhundert in Holland mal für ein paar Jahre eine Börsenblase, würde man heute sagen, gegeben hat. Wo mit Tulpenzwiebeln, die damals noch sehr rar waren, irrsinnige Preise erzielt werden konnten."

  Klaviermusik erklingt nicht bei jeder Lesung, nur auf der Theaterterrasse. In den Gärten spielen Geigen, Gitarren, Flöten, Tubas oder Akkordeons - was eben am besten zum Text passt.
  
  Sollte es bei einer der Lesungen regnen, flüchtet man sich in die dörfliche Kirche. Inzwischen wurde die Sommerreihe auch um eine Wintervariante ergänzt, die findet dann im St.-Pauli-Kloster in Brandenburg statt. Der auf historischen Ereignissen beruhende Roman "Tulpenwahn" von Mike Dash wird dann sicher nicht zu hören sein:
  
  "Auf dem Höhepunkt der Tulpenmanie und während des nachfolgenden Preisverfalls verfassten die Holländer selbst eine Flut von Flugschriften, die diesen Blumenhandel zu erklären suchten. Jenseits der Grenzen dieses Landes verfolgte man mit noch größerer Fassungslosigkeit, wie ein Volk, das in ganz Europa als mürrisch, moralistisch und sparsam verschrien war, sich in einer unerklärlichen Leidenschaft für Tulpen offenbar völlig vergessen konnte."

  "Tulpenwahn", ein historischer Roman von Mike Dash, ist einer von neun Romanen, die im Sommer diesen Jahres in den Gärten von Brandenburg an der Havel und Umgebung zu hören sein wird - vorgetragen von Brandenburger Theaterschauspielern.
  

• Philosophisches zum Thema Garten

  Am Anfang stand der Klostergarten

  Der Garten des Mittelalters war der Klostergarten, sonst interessierte sich - zumindest in der westlichen Welt - niemand für zierlich angepflanztes Grünzeug. Und der Klostergarten war ein abgeschlossenes Refugium - ein Ort der Kontemplation und zugleich ein Spiegelbild der göttlichen Ordnung.

  Im 15. Jahrhundert setzte sich in Italien dann die philosophische Anschauung des Humanismus durch. Der individuelle Mensch mit seinem Denken und seinen Bedürfnissen wurde entdeckt, - der dazu passende Garten war leicht, heiter und nach außen hin geöffnet.

  Beim Durchschreiten eines solchen Gartens trat man gern von feuchten dunklen Grotten-Arrangements in gleißendes Sonnenlicht: spazierte also an den vier Elementen Wasser, Erde, Feuer und Luft entlang mit Wasserspielen und Fontänen, die selbst in der Trockenzeit des Hochsommers nicht versiegten. Im folgenden Barock wurden hierfür sogar - der herrschaftlichen Macht über die Natur bewusst - Flüsse umgeleitet und hydraulische Maschinen ersonnen.

  Einführung ordnender Symmetrie

  Sowieso war der französische Barockgarten eine gedankliche Steigerung des Renaissancegartens. Zum Wechsel der Elemente wurden ordnende Symmetrie eingeführt und strengste geometrische Formen.
  
  Aber die sinnliche Natur des Menschen - das unmittelbare Erleben und der emotionale Genuss - blieb beim höfisch-affigen Getue auf der Strecke: wenn Bäume geköpft wurden und ihre Seiten weggeschnitten, bis die Bäume aussahen, als habe man da Kästen auf Stangen gestellt; und wenn man einen Entschlüsselungscode brauchte, um die weit über den gesunden Menschenverstand hinaus vernünftelten Gartenszenen zu entziffern und zu verstehen.

  Die Idee des Landschaftsgartens

  Deshalb kam aus England - sowieso zumeist Gegner der französischen Kultur - die Idee des Landschaftsgartens. "Die Natur verabscheut gerade Linien", sagte die Aufklärung, die von jeder sinnbildlichen Gartenmystik Abstand nahm. Doch auch hier hatten philosophische Fragen noch große Bedeutung für die Gartenbauerei.

  Gottfried Wilhelm Leibniz etwa entwickelte den Schlosspark in Hannover-Herrenhaus über Jahrzehnte hinweg streng nach seinen Fragen und Einsichten. Zum Beispiel ob in einem riesigen Park kein Blatt exakt dem anderen glich, das wurde zum philosophischen Gehirnjogging bei den Spaziergängen durch den Garten. Und das war durchaus bewusstseinserweiternd, damals, denn: Wenn sich die Dinge nicht voneinander unterscheiden ließen, dann gäbe es auch keine Individualität. Solche Fragen wurden quasi per Gartengestaltung untersucht.

  Ideen mäanderten wie das Grün um die Pflanzinseln; gern wurde auch mit optischen Täuschungen gearbeitet, deren Entschlüsselung dem Menschen Gedanken eingeben sollten...

  Doch das liberale Ideal von freier Landschaft einerseits und der streng freiheitlich durchdachten Gartenkunst andererseits blieben letztendlich unvereinbar, so daß der englische Philosoph Anthony Ashley Cooper, dritter Earl of Shaftesbury, darauf verfiel, einen Misthaufen höher zu bewerten als einen Kunstgarten.

  Globalisiertes hortensisches "anything goes"

  Heutzutage bieten sich für jeden, der im Gartenbau mehr sieht, als reines Blumengießen und Unkrautrupfen oder den Platz für die Bierbank und die Grillecke ein globalisiertes hortenisches 'anything goes': In der westlichen Welt werden inzwischen japanische und chinesische Gärten mit viel Hingabe und pseudo-philosophischem Getue gestaltet.

  Und der "Kleinen Philosophie" im ZDF mit Richard David Precht entsprechend gibt es für den modernen, gestressten Stadtmenschen kleine Zengärten to go: rechteckige Rahmen, in denen sich grob- bis feinkörniger Sand sowie Steine oder farbige Halbedelsteine befinden. Dazu gehört in der Regel ein kleiner hölzerner Harke, mit der der Gartenphilosoph meditierend im Kästchen herumharken kann.