- "Türkische Einwanderer haben nie Wertschätzung erlebt"

"Gastarbeiter" – so nannte man vor 60 Jahren türkische Kumpel und Arbeiterinnen an den Fließbändern der boomenden Bundesrepublik. Doch sehr gastlich ging Deutschland mit diesen Menschen nicht um. Warum sie den Begriff als diskriminierend empfindet, erklärt die Psychiaterin Meryam Schouler-Ocak im Gespräch mit Christian Wildt.

Die Psychiaterin arbeitet an der Berliner Charité viel mit Menschen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen zusammen. Es sei ein Ort, wo man sich verständlich machen, aber auch nötige Diagnostik und Behandlung bekommen könne, erklärt Schouler-Ocak.

Die Professorin forscht auch zu den Gründen für die Probleme der Betroffenen. Einer davon seien die sogenannten Post-Migrations-Stresserfahrungen, erklärt die Psychiaterin. "Der Begriff besagt, dass die Bedingungen, unter denen die Betroffenen sich nach der Ankunft hier befinden, so gravierend sein können, dass sie die erlebten Dinge nicht richtig verarbeiten können", sagt Schouler-Ocak. Ein Beispiel sei die Unterbringung in Turnhallen.

 

Begriff "Gastarbeiter" ist negativ konnotiert

 

Schouler-Ocak ist selbst in der Türkei geboren. Die Geschichte der türkischen Einwanderung nach Deutschland begann vor 60 Jahren. Der Begriff "Gastarbeiter" sei für sie diskriminierend, betont die Medizinerin. "Gastarbeiter impliziert ja, dass man Gast ist, um den man sich kümmern muss und nach einer gewissen Zeit wieder verabschiedet", sagt Schouler-Ocak. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, niemand habe sich um die Arbeitsmigranten gekümmert. "Es gab weder Integrationsmaßnahmen, noch Sprachkurse, noch Fördermöglichkeien, noch Beratungsstellen."

Was auch gefehlt habe: der Respekt. Damit sei diesen Menschen Unrecht getan worden, sagt Schouler-Ocak. "Die haben nie Anerkennung erlebt und man hat niemals Dankeschön gesagt." Bei einem Empfang bei Bundespräsident Hans-Walter Steinmeier habe sie kürzlich zum ersten Mal erlebt, dass diese Wertschätzung von einer Person des öffentlichen Lebens in hoher Position ausgedrückt worden sei. "Nämlich, dass die da wirklich einen tollen Beitrag zum Aufbau Deutschlands geleistet haben", sagt Schouler-Ocak.

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