Archiv: Spurensuche der Polizei in Nauen 2015 (Bild: dpa/ picture alliance/ Nestor Bachmann)
dpa/ picture alliance/ Nestor Bachmann
Bild: dpa/ picture alliance/ Nestor Bachmann

- Nauen und die Flüchtlinge – damals und heute

Wir müssen reden: Knapp 900.000 Flüchtlinge wurden 2015 in Deutschland registriert. Die Kanzlerin versicherte "Wir schaffen das". In der brandenburgischen Stadt Nauen verübten Neonazis damals eine Serie von Anschlägen, am Ende brannte eine Turnhalle. Reporter Oliver Soos hat vor Ort nachgefragt, wie die Ereignisse in Nauen nachwirken.

Nauen ist eine Stadt mit 18.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, kurz hinter dem Berliner Speckgürtel. Im Zentrum gibt es eine schick restaurierte Altstadt mit einem schönen Kirchvorplatz und vielen Fachwerkhäusern. Kaum zu glauben, dass diese Stadt 2015 monatelang von einer Neonazibande terrorisiert wurde.


„Die meisten in Nauen wirkten so, als ob es sie nichts anginge“


Fragt man die Nauener fünf Jahre nach den Ereignissen danach, antworten die meisten distanziert. Nauen musste sich immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass damals weggeschaut wurde und dass es zum Teil auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung gegeben habe. Eine, die diesen Vorwurf erhebt, ist die Linken-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige. 2015 gab es diverse Anschläge auf ihr Bürgerbüro und weitere Vorfälle wie ein angezündetes Auto und zerstochene Reifen. Die Stimmung in der Stadt habe dazu beigetragen, dass sich die Neonazis zu ihren Taten ermutigt fühlten, so die Landtagsabgeordnete.


Laura Schenderlein vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Potsdam hat damals in Nauen eine vorherrschende Gleichgültigkeit beobachtet. „Die meisten wirkten so, als ob es sie nichts anginge. Die wenigen engagierten Nauener wurden durch die Anschlagsserie eingeschüchtert“, sagt Schenderlein.


NPD verbreitet Angst in Nauen


Die Anschlagserie hatte ihren Vorlauf im Februar 2015, als eine Stadtverordnetenversammlung in Nauen aus dem Ruder lief. Es ging um den Standort einer Flüchtlingsunterkunft. Vor dem Saal stand der NPD-Stadtverordnete Maik Schneider mit etwa 50 aufgebrachten Personen. Sie brüllten „Nauen will kein Asylantenheim“ und „Wir sind das Volk“. Sie traten und hämmerten mit den Fäusten gegen die Glaswand des Saals.


Die Anschlagserie hatte dann im Sommer ihren Höhepunkt, mit dem Angriff auf die Turnhalle des Oberstufenzentrums. Die Halle brannte, bevor die Flüchtlinge ankamen. Die Täter hatten Gas ins Gebäude geleitet. Der ehemalige Bürgermeister erinnert sich: „Ich glaube 48 Stunden habe ich dann nur noch funktioniert.“

 

Der ehemalige Bürgermeister von Nauen, Detlef Fleischmann (SPD) (Bild: rbb/ Oliver Soos)
rbb/ Oliver Soos

 

Neonazis inszenieren sich im Prozess


Die Medien berichteten vom engagierten Bürgermeister, der dagegenhält. Der SPD-Politiker wurde auch selbst von den Neonazis bedroht. Anfang 2016 erlitt er zwei Herzinfarkte. Anfang 2018 gab er nach 16 Jahren sein Bürgermeisteramt auf.
Der NPD-Aktivist Maik Schneider wurde durch Spuren überführt. Er gestand die Brandstiftung an der Turnhalle und zeigte keine Reue. Der Prozess wurde zur Bühne für die Rechtsextremisten. Zeugen aus der Szene, die aussagen wollten, wurden bedroht. Am Ende wurde Schneider zu insgesamt neun Jahren Haft verurteilt, ein Mittäter bekam sechseinhalb Jahre, drei weitere Männer Bewährungsstrafen.


Seit diesen Ermittlungserfolgen ist Nauen nicht mehr durch rechte Gewalttaten aufgefallen, beobachtet Laura Schenderlein. Das Urteil habe eine Signalwirkung gehabt. Außerdem sei mit Maik Schneider die Leitfigur der Nauener Neonaziszene aus dem Verkehr gezogen worden. Laura Schenderlein beschreibt ihn als einen charismatischen Anführer und Macher. Schneider war von Beruf Erzieher. Er war in der NPD und in der gewaltorientierten rechtsextremen Vereinigung „Freikorps Havelland“ gut vernetzt.


Linken-Politikerin: Nauen war in den 90ern Neonazi-Hochburg



Entscheidend sei in diesem Zusammenhang auch eine Kontinuität, die sich aus der Neonazikultur der 90er Jahre ergebe, so die Linken-Politikerin Andrea Johlige. „Nauen war in den 90er Jahren bekannt als Nazihochburg und die Nazischläger der 90er wohnen immer noch in Nauen, sie haben halt jetzt eine bürgerliche Existenz“, erklärt Johlige.


Viele Geflüchtete haben die Stadt mittlerweile verlassen


Beim Gang durch die Altstadt fällt ziemlich schnell auf, dass es in Nauen Fremdenfeindlichkeit gibt. Einige Passanten reden abfällig über die Flüchtlinge in der Stadt. Andere Passanten äußern sich weniger feindselig. Eine Frau sagt, sie habe nichts gegen die Flüchtlinge. Eine Rentnerin gibt zu, dass sie am Anfang große Angst hatte, betont aber, dass sich die Angst gelegt hat.


Es gibt engagierte Nauener, wie Volker Müller vom „Humanistischen Freidenkerbund Havelland“, einem Verein für Jugend- und Sozialarbeit. Als Müller 2015 die Willkommensinitiative für Flüchtlinge gründete, engagierten sich damals gut 150 Personen. Mittlerweile ist die Gruppe auf einen harten Kern zusammengeschrumpft. „Wir haben im Moment 37 aktive Helfer. Sie machen das ganz still ohne Medienaufmerksamkeit.“

Wie viele Flüchtlinge seit 2015 in Nauen aufgenommen wurden und was aus ihnen geworden ist, dazu gibt es keine genaue Statistik. Volker Müller schätzt, dass knapp 100 Flüchtlinge in Nauen Wohnungen gefunden haben, meist als Familie oder in WGs. Einige dieser Menschen arbeiten, vor allem in kleineren Handwerksbetrieben.
Doch die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge wurde entweder abgeschoben, ist zu Familienmitgliedern in andere Bundesländer gezogen oder in andere Städte des Landkreises, wie Rathenow oder Premnitz, weil es hier mehr freie Wohnungen gibt als in Nauen.

auch auf inforadio.de

Sprachunterricht für Geflüchtete
imago images / Shotshop

Wir müssen reden - was haben wir geschafft?

"Wir schaffen das!" – Kaum ein Satz hat in den vergangenen Jahren in Deutschland derartig polarisiert, wie jener von Kanzlerin Merkel aus dem Sommer 2015. Fünf Jahre später ziehen wir Bilanz und sprechen darüber in unserer Reihe #wirmüssenreden. Was haben wir geschafft? Was läuft gut, was nicht? Sind geflüchtete Menschen gut angekommen in der Gesellschaft? Und wie hat sich Ihr Leben nach 2015 verändert?