Im Kontrollzentrum der Smart City Santander: Rund 20.000 Sensoren sind in der Stadt verteilt - jeder ist auf dem Bildschirm zu sehen (Bild: ARD/Neuroth)

- "Smart City" Santander: Wo die schlauen Mülltonnen wohnen

Eine Stadt, in der Tausende Sensoren installiert sind, die permanent Informationen sammeln, ist der Albtraum eines Datenschützers. Allerdings können solche Sensoren das Leben der Einwohner erleichtern – und die Arbeit einer Stadtverwaltung. So ist es in der spanischen Stadt Santander an der Atlantikküste, sie hat 175.000 Einwohner. Santander ist so gut vernetzt wie keine andere in Europa und gilt als vorbildliche "Smart City". Oliver Neuroth hat sich für "Das vernetzte Ich" dort umgesehen.

Die Müllabfuhr leert einen Container an der Hafenpromenade von Santander. Aber nicht aus Routine, etwa weil an diesem Tag die Runde des Müllwagens am Hafen vorbei führt – sondern weil der Container gerade jetzt voll ist. Im Inneren hängt ein Sensor. Er kontrolliert die Menge des Mülls. "Der Sensor leitet die Information an eine Antenne weiter. Von dort gelangt sie in unser Kontrollzentrum", erklärt Pablo Sotres von der Universität Santander, der beim Projekt "Smart City" mitarbeitet.

Das Kontrollzentrum schickt die Information "Müllcontainer voll" direkt an die Zentrale der Müllabfuhr. Auf dem Bildschirm von Begoña Castaño blinkt es dann. Sie weiß, welcher Müllwagen in der Nähe ist, weil die Fahrzeuge ebenfalls mit Sensoren ausgestattet sind – ihr Standort wird also übermittelt: "Auf diese Weise sparen wir Geld: Bei den Fahrzeugen, bei den Personalkosten und: Wir reduzieren auch die Luftverschmutzung."

Ähnlich wie bei den Mülltonnen läuft es abends mit den Straßenlaternen. Auch sie sind mit Sensoren bestückt und merken, ob ein Fußgänger in der Nähe ist. Ist das nicht der Fall, schalten sie das Licht einfach aus. Nach Angaben der Stadt sinken dadurch die Stromkosten um 80 Prozent. Auch wird weniger Wasser für die Grünanlagen benötigt: Die Rasensprenger gehen nur dann an, wenn der Boden trocken ist – auch das stellen Sensoren fest.

Wer in der Innenstadt von Santander sein Smartphone zückt, bekommt Informationen über Geschäfte oder Museen angezeigt (Bild: ARD/Neuroth)Wer in der Innenstadt von Santander sein Smartphone zückt, bekommt Informationen über Geschäfte oder Museen angezeigt.

Insgesamt sind im Stadtgebiet von Santander rund 20.000 Sensoren verbaut. Viele davon auch an den Straßen der Stadt, um Informationen über Staus und freie Parkplätze an ein Leitsystem zu melden.

Die vielen Sensoren geben permanent Daten weiter – pro Tag rund 150.000. Ein Problem mit dem Datenschutz gebe es aber nicht, verspricht Iñigo de la Serna. Er war bis vor wenigen Wochen Bürgermeister von Santander, hat das Projekt in den vergangenen Jahren mit aufgebaut. Nach seinen Worten sammeln die Sensoren keine persönlichen Informationen. Das schreibe ein Gesetz vor: "Natürlich müssen wir die persönlichen Daten der Menschen schützen – aber ohne dass wir dabei den Informationsfluss einschränken. Meiner Meinung nach wird die Stadt, die sich am wenigsten restriktiv verhält, langfristig die konkurrenzfähigste sein."

Iñigo de la Serna nennt sich selbst einen Computerfreak. Ständig hantiert er mit seinem Smartphone herum, ist so gut wie immer online. Dass seine Stadt einmal komplett vernetzt ist, war lange Zeit sein Traum. Aber der Ex-Bürgermeister ist sich dessen bewusst, dass eine Smart City wie Santander auch eine attraktive Angriffsfläche für Computerhacker sein kann. Angst, dass sie das Kontrollzentrum der Stadt einmal lahmlegen könnten, hat de la Serna aber nicht: "Hacker versuchen jeden Tag, das Rathaus anzugreifen – so ist das fast in jeder Stadt. Nur die Menschen bekommen davon nichts mit. Deshalb ist es wichtig, gute Schutzsysteme zu haben. Und ich kann garantieren, dass das in Santander der Fall ist. Eine gute Firewall sorgt dafür, dass die Privatsphäre der Menschen und ihre Daten geschützt bleiben."

Bisher scheint die Smart City ein voller Erfolg zu sein. Kaum ein Einwohner beschwert sich. Es gibt eher Lob dafür, dass das Leben in der Stadt einfacher geworden ist. Immer mehr Städte blicken deshalb interessiert auf Santander und wollen sich das System abgucken. Die Stadtverwaltung steht in Kontakt mit rund 220 Städten weltweit, darunter zum Beispiel einige in den USA, in Asien und in Skandinavien. "15 sind es in Europa, darunter auch einige in Deutschland. Santander hat zum Beispiel eng mit Dortmund zusammengearbeitet – und will das auch weiter tun, auch im finanziellen Bereich."

Die Sensoren schicken ihre gesammelten Informationen an Antennen; von dort gehen die Daten weiter ins Kontrollzentrum (Bild: ARD/Neuroth)Die Sensoren schicken ihre gesammelten Informationen an Antennen; von dort gehen die Daten weiter ins Kontrollzentrum.

Den Großteil der Kosten für das Smart-City-Projekt hat die Europäische Union übernommen. Sie wollte, dass Santander eine Art Musterstadt der Vernetzung wird, ein Beispiel für andere. Möglicherweise auch für Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Delegation der Zehntausend-Einwohner-Stadt ist nach Santander gereist, um sich die Vernetzung vor Ort anzuschauen. Heiner Wilms, Geschäftsführer der Stadtwerke, kannte Smart Cities bisher nur auf dem Papier. "Also in der Komplexität habe ich das in Deutschland noch nicht kennengelernt und insofern ist das für uns hochinteressant, es hier zu sehen und das als Beispiel zu nehmen, so etwas auch in Deutschland umzusetzen."

Von einer Smart City sollen aber nicht nur Stadtverwaltungen oder Stadtwerke profitieren, indem sie besser planen und dadurch Geld sparen können – auch die Einwohner haben konkrete Vorteile. In Santander können sie zum Beispiel via Smartphone ans Rathaus melden, wenn in der Stadt etwas nicht stimmt – und gleich noch ein Foto mitschicken: Von einem kaputten Gully-Deckel, einem heruntergefallenen Mülleimer oder einer Baustelle, die den Gehweg versperrt. Das soll Bürgernähe schaffen, sagt Pablo Sotres von der Universität Santander: "Das Interessante ist, dass diese App nicht nur in eine Richtung funktioniert. Denn das Rathaus meldet über die App auch, wann das Problem behoben wird – ob zum Beispiel schon ein Handwerker unterwegs ist, um einen Mülleimer zu reparieren. So merkt der Bürger, dass man ihm zuhört und auch etwas unternimmt."

Auch Touristen haben etwas von der Smart City: Spazieren sie durch die Fußgängerzone von Santander, sagt ihnen ihr Smartphone sofort, was das Museum bietet, vor dem sie gerade stehen. Dasselbe gilt für Geschäfte. Auf dem Display erscheinen Informationen über Sonderangebote oder die Öffnungszeiten. Rund 1.500 Läden in der Stadt bieten diesen Service an. Der erste Händler, der bei dem Projekt mitgemacht hat, war Angel Benito. Ihm gehört ein Schuhgeschäft in Santander: "Das Rathaus hat für uns damit natürlich eine tolle Möglichkeit geschaffen, unsere Produkte zu bewerben und auf besondere Aktionen hinzuweisen. Der Kunde kann so auch außerhalb unserer Geschäftszeiten, zum Beispiel am Wochenende, sehen, was wir anbieten. Für uns ein großer Vorteil der Smart City Santander."

Angel hat auch schon die Erfahrung gemacht, dass Kunden mit ihm über die Smart-City-App Kontakt aufnehmen und Waren bestellen, wenn das Geschäft geschlossen ist: "Ich bekam an einem Sonntag eine Nachricht über die App, sie kam von jemandem, der hier in der Stadt wohnt. Er schickte mir ein Foto von Paar Schuhen, das er gerne haben wollte. Ich konnte mich gleich um die Bestellung kümmern, sodass er schnell seine Ware bekam." Bis vor ein paar Jahren war Santander noch eine etwas heruntergekommene Küstenstadt in Nordspanien, wenig spektakulär. Auch heute ist sie optisch keine echte Vorzeigestadt – dafür aber technisch so weit wie kaum eine andere weltweit.