- Berlinale Tipp: Centaur

Wie in jedem Jahr gibt Reiner Veit auch während der 67. Berlinale seinen täglichen, ganz besonderen Film-Tipp: Am Montag ist es "Centaur", der uns nach Kirgisien entführt, und in dem es um einen Konflikt zwischen ungleichen Brüdern geht. Eine 90-minütige Reise in ein fremdes Land, eine fremde Welt, die einem dabei sehr nahe kommt.

Ein Film, der eine kirgisisch, französisch, deutsche und niederländische Coproduktion ist, klingt nicht unbedingt sehr verlockend. Das sollte Sie aber im Fall von "Centaur" nicht abhalten, ihn zu sehen. Denn Sie verpassen sonst nicht nur einen sehr schönen, sondern auch vielschichtigen, poetischen und politischen Film. Und einen Film, der in der atemberaubend schönen Landschaft Kirgistan zu Hause ist.

Zentauren oder Kentauren sind jene griechischen Mythen- und Mischwesen aus Pferd und Mensch. Im zentralasiatischen Kirgistan, oder Kirgisien, werden Pferde sehr verehrt, sagt ein heimisches Sprichwort doch, sie seien "die Flügel des Menschen". Und es wundert auch wenig, dass Centaur ein durchaus üblicher Männername ist.

"Centaur" spielt in einem Dorf, irgendwo in einer dünn besiedelten Bergregion des Landes. Dort lebt auch "Centaur", ein ruhiger und besonnener Mann, mit seiner viel jüngeren, gehörlosen Frau und gemeinsamem Sohn. Früher war er Filmvorführer und träumte sich oft ins Leben der Anderen. Ein eigenes Pferd wäre sein Traum, den kann sich der sehr gute Reiter und Pferdeversteher Centaur nicht erfüllen, wohl aber sein, auf rätselhafte Weise, zu Reichtum und Wohlstand gekommener Bruder. Der züchtet Pferde und hat mehr davon, als er reiten kann.

Ein Konflikt zwischen den ungleichen Brüdern ist fast unumgänglich. Und auch das platonische Verhältnis von Centaur zu einer Witwe wird ihm allmählich zum Verhängnis.

Vor diesem, in ruhigem Fluss erzählten Handlungshintergrund, handelt der Film sehr unaufgeregt und in präzisen aber unübersehbaren Andeutungen von den langsamen aber stetigen Veränderungen in Kirgistan nach dem Zerfall der Sowjetunion. Vom Auseinandergehen der Arm-Reich-Schere, vom immer stärkeren Einfluss des konservativen Islam, weshalb es in Centaurs Heimatdorf schon lange kein Kino mehr gibt und er selbst arbeitslos ist. Und wenn ein vermeintlicher Pferdedieb geschlagen und malträtiert wird, während die Polizei gelangweilt sich die Zeit mit Rauche und Plaudern vertreibt, sagt das - ganz beiläufig- viel aus über die Lage der Menschenrechte im Land, über mangelnde Rechtsstaatlichkeit, Zensur und die kaum unabhängige Justiz im Land.

Der Regisseur Aktan Arym Kubat, der auch die Hauptrolle spielt, zeigt all das mit großer, gelassener Unaufgeregtheit, ganz ohne kämpferischen Pathos oder putziger Folklore, und in einer Weise, dass auch wir Europäer, die wir uns vielleicht nicht unbedingt täglich mit Kirgistan und der Situation im Land, beschäftigen, den Film und dessen leise aber doch deutliche Kritik an den bestehenden und werdenden Verhältnissen verstehen. Er greift das politische und gesellschaftliche System an ohne sich dabei angreifbar zu machen, zeigt ein kleines persönliches Schicksal im großen Ganzen.

Eine 90-minütige Reise in ein fremdes Land, eine fremde Welt, die einem dabei sehr nahe kommt.

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dpa

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