Fr, 22.07.2016 - Wie queeres Begehren die Liebe verändert

Queer leben in Berlin, darunter versteht man Lebensentwürfe jenseits der heterosexuellen Norm. Ein paar haben wir diese Woche kennengelernt. Menschen, die sich selbst als "queer" bezeichnen, wollen sich nicht festlegen lassen - auf das eigene Geschlecht oder das der Liebespartner. Unsere Reporterin Susanne Bruha hat sich mit einer Familienmutter getroffen, die queer liebt und zwar gleich mehrere Menschen.

"Für mich ist Geschlecht tatsächlich nicht so eine wichtige Kategorie für mein Begehren. Ich weiß, dass ich total auf Leute stehe, die Haltung haben. Die eine bestimmte Art von Humor haben, die auf eine bestimmte Art und Weise ihren Körper bewohnen und mit ihm umgehen. Darauf stehe ich. Und welche primären und sekundären Geschlechtsteile daran geknüpft sind, ist für mich erstmal gar nicht so wichtig."

Ingrid ist 42 Jahre alt, sie lebt mit ihrer Frau Anna und den gemeinsamen zwei Kindern in Kreuzberg. Ingrid hat außerdem einen Liebhaber, Tim und datet noch weitere Menschen aller Geschlechter.

Gerade kommt Anna vom Yoga nach Hause, Ingrid übergibt ihr das drei-Monate alte schreiende Baby zum Stillen. Die beiden Mütter teilen sich die Sorgearbeit 50:50 auf. Bis Ingrid die große Tochter aus der Kita abholt, hat die selbständige Kommunikationstrainerin jetzt Zeit für Arbeit am Rechner.

Am Abend hat sie ein Date mit Tim. Wo andere Menschen Probleme hätten; zwei kleine Kinder, Beruf und eine Beziehung unter einen Hut zu bekommen, will Ingrid mehr von der Liebe. "Ich finde es ja schon schwierig in einer Beziehung, wenn man keine Kinder hat, in einer Beziehung zu sein, die dann länger als fünf, sechs Jahre geht, wo es wirklich noch so eine Neugier gibt und so eine Lebendigkeit und so ein Dasein für einander und dass man eben nicht in so ein Mus, so einen Alltag fällt. In so eine Starre. Ich möchte gerne eigentlich an jedem Punkt meines Lebens so den Eindruck haben, ich mach das hier alles freiwillig."

Freie Liebe und Toleranz in der Partnerschaft

Mit ihrer Frau Anna verabredet sich Ingrid regelmäßig für Zweierzeit. Ansonsten geben sich die beiden viel Freiraum für andere und anderes. Monogamie ergibt für sie keinen Sinn: "Ich sehe mich als sehr sexuellen Menschen."

Ingrid sagt, seit sie theoretisch alles darf, sei sie eigentlich kritischer geworden als manch andere bei Seitensprüngen wären. Alles sei ja eh immer möglich. Unter einer Bedingung: Es muss allen damit gut gehen. Das klappt meistens ganz gut. Anna und Ingrid haben einen Rahmen vereinbart, ihre Beziehung hat Priorität: "Eifersucht darf sein. Sie ist ja mehr so ein Deckelbegriff für Verlustangst, Angst allein zu sein. Vielleicht auch Neid und das darf alles da sein und wir gucken uns das dann an."

Offen über Gefühle zu sprechen, ist die Grundlage für Ingrids sexuell freien Lebensstil. Bei Menschen in ihrem Umfeld stößt sie mit soviel Offenheit nicht immer auf Gegenliebe. Die gesellschaftlichen Moralvorstellungen stehen im Weg.