Junge isst ein Nutellabrot
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100 Sekunden Leben - 60 Jahre Nutella: Die verbotene Frucht

Das ist ein ziemlich schmieriges Jubiläum, das da am Freitag in Italien gefeiert wird: Am 20. April 1964, also vor 60 Jahren, wurde in Alba, im Piemont, das erste Glas Nutella verkauft. Und da will unser Nuss-Nugat-Creme-affiner Kolumnist Thomas Hollmann natürlich auch gratulieren.

Dass Nutella kein normaler Brotaufstrich ist, weiß ich, seit ich zehn bin. Damals hatte ich meine Mutter inständig gebeten, ein Glas von dieser leckeren Creme zu kaufen, die ich bei Fridolin probiert hatte. Aber meine Mutter weigerte sich, obwohl die Erdbeermarmelade und der Honig jeden Morgen auf dem Frühstückstisch standen. Aber Nutella, nein, Nutella würde es nicht geben. Das erklärte sie unverhandelbar und beinahe beschwörend. Als handele es sich um die verbotene Frucht.

Womöglich war Nutella für meine Mutter tatsächlich zu viel der Versuchung und des Dolce Vita. Lag Italien damals geschmacklich doch noch weit weg. Und überhaupt: Warum sollte sich jemand Haselnüsse aufs Brot schmieren?

Später erbarmte sich meine Mutter, hin und wieder ein Glas Käpt‘n Nuss zu kaufen. Womöglich, weil Käpt’n Nuss deutsch sprach. Ich bin trotzdem weiter zu Fridolin und habe die Augen zugemacht, wenn ich in die dick bestrichene Nutella-Scheibe biss.

Nun können Kindheits-Verbote schlimme Traumata zur Folge haben – oder auch bizarre Fetische. Ich kann jedoch behaupten, ein entspanntes Verhältnis zu Nutella zu haben. Zwischenzeitlich hatte ich es sogar aussortiert und Erdnussbutter probiert. Aber das klebt mir zu sehr am Gaumen. Und bei der Crunchy-Version hoppelt das Messer übers Brot wie über Brandenburger Kopfsteinpflaster.

Also bin ich zu Nutella zurückgekehrt. Aber ich bestreiche damit nur die Brote für die Arbeit. Lieber würde ich Honigbrote mitnehmen. Aber Honig suppt durch. Das tut Nutella nicht. Und Nutella lässt die Scheiben schön aneinanderkleben. - Wenn ich es mir Recht überlege, habe ich inzwischen doch ein ziemlich pragmatisches Verhältnis zu dem ehedem verbotenen Aufstrich. Aber mit 60 ist man halt auch nicht mehr so - sexy.

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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.