Symbolbild: Bargeld oder Kartenzahlung in der Gastronomie
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100 Sekunden Leben - Cash oder Karte – der neue Glaubenskrieg

Bargeld lacht, sagen die einen. Bargeld ist von gestern, sagen die anderen. Kolumnistin Doris Anselm gerät zwischen die Fronten – und überlegt schon, ob sie mit Naturalien zahlen könnte.

Mag sein, dass wir in Deutschland ziemlich weit hinten liegen in Sachen bargeldloser Zahlung. Bei einem aber liegen wir unschlagbar weit vorn: Bei dem Talent, aus zwei belanglosen Möglichkeiten einen erbitterten Glaubenskrieg zu konstruieren.

Neuerdings ist es: Cash oder Karte. In letzter Zeit passiert es mir dauernd, dass ich in einem Laden oder Café zufällig und unwissend das jeweils falsche und verhasste Zahlungsmittel zücke. Teils werde ich dann derart harsch zurechtgewiesen, dass ich zur Entspannung der Situation am liebsten fünf Minuten lang Gendern oder Nichtgendern würde, das regt die Leute weniger auf.

Wollte ich erbärmlicherweise bar zahlen, fühle ich mich frisch ausgeschimpft wie ein dreckiges, ewig vorgestriges, womöglich kriminelles Subjekt, das seine organisierten Machenschaften (in Klammern: Kaffee trinken) im anonymen Zahlungsverkehr zu vertuschen sucht.

Habe ich dagegen andernorts den Fehler gemacht, die Karte zu zücken, stellt man mich an den Pranger für gewissenlose Gentrifizierer, die wie ich am liebsten alle kleinen Läden mithilfe von Kartenzahlungsgebühren in den Ruin treiben wollen.

Am schlimmsten ist, wenn die Mitarbeiter mich scheinbar offen fragen, wie ich bezahlen möchte, aber ich kann schon in ihren Augen sehen, dass ihnen eine Variante lieber wäre als die andere. Oft wird dann, egal wie ich entscheide, mit passiv-aggressivem Seufzen das EC-Gerät oder das Portemonnaie gezückt. Vielleicht war einfach beides falsch. Ich hätte lieber anbieten sollen, das Geschirr zu spülen, Milch holen zu gehen oder Tisch 4 abzuräumen.

Es gibt nur einen Ort, an dem ich mich noch entspannen kann, weil es den Leuten dort glaubhaft egal ist, wie ich zahle. Nur leider hab mich bisher noch nicht getraut, meine Freunde zum Kaffeetrinken in den Supermarkt einzuladen.

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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.