Karstadt-Eingang
IMAGO / Eckhard Stengel
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100 Sekunden Leben - Konsum-Automatik

Unser Kolumnist Thomas Hollmann ist ein kritischer Konsument. Das dachte er zumindest. Bis er Schnürsenkel kaufen musste.

Ich muss zu stark an dem Schnürsenkel gezogen haben. Jedenfalls hielt ich das eine Ende plötzlich in der Hand. Was ein Problem darstellte. Gibt es bei uns doch keine Schuhgeschäfte mehr, weil alle Leute Sneakers tragen. Aber dann ist mir eingefallen: Bei Karstadt gibt es Schnürsenkel. Vor fünf Jahren hatte ich dort welche gekauft.

Also bin ich hin zu Karstadt und auf die großen Glastüren zu. Aber nichts passierte. Keine der Türen öffnete sich. Alle blieben verschlossen und versperrten mir den Weg. In der Parfümerie-Abteilung waren aber Leute. Das konnte ich sehen. Wie waren die reingekommen?

Mir war das ein Rätsel. Bis ich die silbernen Griffschienen entdeckte, mit denen man die Türen aufdrücken konnte. Offensichtlich hatte ich vergessen, dass sich nicht alle Türen von selbst auftun und nach links und rechts wegschwenken, wie einst das Meer bei Moses.

Ja, bei meiner Küchentür muss ich auch die eigene Handkraft einsetzen. Aber doch nicht im öffentlichen Konsumraum, in den der Kunde schwellenlos und türklinkenbefreit hereingebeten wird, damit er federleicht sein Geld ausgeben - und pinkeln kann. Dank Sensorik und Lichtschrankentechnik wissen Shopping Center-Pissoirs, wann jemand vor ihnen steht und Wasser nachzuschießen ist.

Und ist das nicht der Fall, wie in dem einen Restaurant, werde ich renitent. Grenzt es doch an Nötigung, auf einen Plastikknopf drücken zu müssen, auf den vorher schon zwanzig Andere mit ihren ungewaschenen Fingern gedrückt haben.

Und es mag ja der eigenen Fitness zuträglich sein, tonnenschwere Glastüren zur Seite zu drücken. Aber wenn ich Muskeln aufbauen will, gehe ich in die Muckibude – und nicht zu Karstadt.

Außer ich muss. Tatsächlich hatten sie Schnürsenkel. Sogar welche in hellbraun.