Besucherinnen und Besucher betrachten Kunst auf der Positions Kunstmesse in Berlin-Tempelhof.
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100 Sekunden Leben - Kunst ohne Penis

Ein kunstreiches Wochenende liegt hinter Berlin. Hunderte von Galerien und Künstlern haben sich während der Art Week in der Stadt präsentiert. Unser Kolumnist Thomas Hollmann hat allerdings ein Motiv vermisst.

Ich war auf der Positions-Ausstellung im Flughafen Tempelhof. Drei riesige Hallen vollgestopft mit Kunst. Aber ich habe keinen einzigen Penis gesehen. Nicht, dass ich unbedingt einen hätte entdecken wollen. Ich habe mich nur gewundert, dass da keiner war. Weder erigiert noch aufgerollt. Bei früheren Ausstellungen war das anders. Da sah man vor lauter Penissen mitunter den Wald nicht mehr.

Nun gibt es auch in der Kunst Moden. Das ist wie bei Klamotten. Röhrenjeans sind irgendwann out. Und der Penis wurde ja auch schon zur Genüge dargestellt. Allerdings werden Bäume auch noch immer gemalt. Von denen habe ich bestimmt ein Dutzend gesehen. Und bei Bäumen passiert performance-mäßig noch weniger als bei Penissen. Die stehen einfach nur da.

Weilbliche Geschlechtsteile habe ich im Übrigen auch keine entdeckt. Nicht einmal nackte Brüste. Geschweige denn Paare, die kopulierten. Auch das war früher anders. Schauen Sie mal in der Neuen Nationalgalerie vorbei. Da geht’s mächtig zur Sache. Würde man die Nackten abhängen, wäre das Museum leer. Zumindest zur Hälfte.

Und da frage ich mich, ob wir möglicherweise in einer post-koitalen Ära leben, das nur nicht bemerken, weil sich so schön über Till Lindemann aufregen lässt? Oder sollten sich die Künstler – und Künstlerinnen – gar selbst beschneiden, weil Nacktheit und Sex inzwischen für Unfreiwilligkeit und Täterschaft stehen und sich nackte Kunst im aufziehenden Moral-Purismus schlecht verkauft?

Das würde ich nicht gut finden, wenn jetzt alle etwas anhaben müssten. Am Ende wohl auch noch die griechischen Götter im Alten Museum. Da müsste ich dann schnell nochmal hin. Ehe die Götter dort mit einer Badehose dastehen.