Eine Milchkuh leckt an einer Kuhglocke
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100 Sekunden Leben - Die Futterglocke

Unser Kolumnist Thomas Hollmann war im Urlaub. Dort konnte er sich aber nicht wirklich entspannen. Denn die Hotelchefin wollte ihn offensichtlich abrichten.

Eine erste ungute Ahnung beschlich mich, als ich in der Info-Kladde las, beim Abendessen werde auf pünktliches Erscheinen Wert gelegt. Das Essen beginne um 19 Uhr.

Fünf nach sieben wird ja wohl noch pünktlich genug sein, dachte ich da. Aber das war ein Irrtum. Wurde die Südtiroler Stille doch urplötzlich von einem metallischen Dröhnen zerrissen. Wenig später hob das infernalische Geräusch erneut an. Ein Blick zur Uhr verriet mir: Es war viertel vor sieben, also höchste Zeit.

Als ich in den Essenssaal stürmte, saßen die anderen Gäste schon auf ihren Plätzen. Das mache die Chefin immer so, erklärten mir die Tischnachbarn, mit der Kuhglocke zum Essen läuten. Damit es um 19 Uhr auch losgehen könne - mit der Suppe.

Am nächsten Abend saß ich um viertel vor sieben gekämmt auf der Bettkante. Was nicht ertönte, war die Glocke. Sollte das Abendessen ausfallen? Oder wollte mich Hotelchefin Brigitta nur auf die Folter spannen? Vermutlich letzteres. Denn um fünf vor sieben donnergongte es schließlich doch noch von unten hoch. So dass ich aus dem Zimmer stürzte – mit all den anderen.

Womöglich war ich Teilnehmer eines geheimen pawlowschen Experimentes. Aber warum wurde dann nicht mein Speichelfluss gemessen? Das hat der Pawlow bei seinen Hunden immer gemacht, nach dem Läuten der Futterglocke.

Als die Woche vorbei und ich wieder zuhause war, dachte ich, ich hätte es überstanden. Bis am Sonntagmorgen die Kirchenglocken erklangen und ich einen seltsamen Appetit bekam. Sollte etwa die Katholische Kirche hinter der Dressurnummer stecken, die ja dringend Besucher braucht? Das wäre mal eine Recherche wert. Ich bin dann aber nicht in den Gottesdienst gegangen. Hostien schmecken einfach nicht - ohne Soße.