Modenschau von Anja Gockel im Rahmen der Berlin Fashion Week
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100 Sekunden Leben - Erst kommt das Fressen - dann die Fashion Week

Am Montag beginnt in Berlin die Fashion Week. Das ist inzwischen eine Traditionsveranstaltung: Seit 2007 zeigen Designer aus aller Welt die neuesten Trends und Entwürfe. Für unseren Kolumnisten Thomas Hollmann passen Mode und Berlin allerdings noch immer nicht zusammen.

Dass Berlin vor allem dem schlechten Geschmack eine Bühne bietet, denke offensichtlich nicht nur ich. Das tut auch die Deutsche Presse Agentur. Die präsentiert pünktlich zur Fashion Week die schlimmsten Modesünden, die immer noch spazieren getragen werden. Socken in Sandalen, Schlaghosen, Seidenschals, selbstgehäkelte Jäckchen, Hüfthosen und natürlich der Vokuhila.

Okay, Seidenschals sehe ich in Berlin eher selten. Gegen die hätte ich gar nichts. Dienen Seidenschals doch als Sichtschutz. Peter Scholl-Latour ist im Alter nie ohne aus dem Haus und ins Fernsehstudio gegangen. Heute zeigen Kommentatoren – und innen – dagegen ganz ungeniert ihren Putenhals. Also, da würde ich lieber auf einen Seidenschal gucken.

Jogginghose gehört zur Berliner DNA

 

Aber für feines Tuch ist Berlin nicht gemacht. Für die Jogginghose dagegen umso mehr. Dass die bei der Modesünden-Auflistung der Deutschen Presse Agentur fehlt, liegt wahrscheinlich daran, dass die Jogginghose schon keine Mode mehr ist, sondern inzwischen zur hauptstädtischen DNA gehört. Wie die Currywurst.

Dabei gibt es in Berlin inzwischen mehr Sterne-Restaurants als irgendwo sonst in Deutschland. Guter Geschmack ist also möglich. Er muss aber offensichtlich zu verdauen sein. Deshalb wird aus der Fashion Week auch nie eine Grüne Woche. Dem feinen Textil fehlt es einfach an der berlinesken Rülpshaftigkeit.

Erst kommt das Fressen

 

Ich verwahrlose im Übrigen auch immer mehr. Früher trug ich ab und an nochmal einen Anzug; jetzt trage ich nicht einmal mehr ein Hemd. Aber wie dichtete einst schon Bertolt Brecht: Erst kommt das Fressen - und dann die Fashion Week.