Vielleicht bin ich dem Tod nur knapp entronnen. Keine Ahnung, wie ich es nach Hause geschafft habe; noch immer zittere ich am ganzen Leib. Ich war auf meinem täglichen Spaziergang durch meine Berliner Nachbarschaft. Da stand plötzlich ein neuer Bauzaun. Man konnte erst gar nicht durchgucken, weil er mit einem Plakat voll gelber Warnhinweisschilder behängt war. Diese drastischen Dreiecke, in denen jeweils einem Menschen entsetzliches zustößt – gottlob nur als Piktogramm. Deshalb stand das aber auch nochmal unter den Dreiecken: Elektrische Spannung! Schwebende Lasten! Hindernisse! Rutschgefahr! Quetschgefahr! Absturzgefahr!

Schon nach dem Lesen war ich fertig mit den Nerven. Aber ich wäre ja keine Top-Journalistin geworden, wenn ich nicht meine Angst besiegt und einen Blick durch den Zaunspalt riskiert hätte. Dahinter: Ein paar Meter grüne Wiese. Ein Erdhaufen, ein Dixiklo und ein paar übriggebliebene … Bauzaun-Steck-Steine nenn ich sie mal, diese Betondinger, in die man die Bauzaun-Elemente steckt. Tja. Nichts, das auf den ersten Blick tödlich schien – aber so fangen Horrorfilme auch immer an. Und dann rutscht man aus, stürzt in das Loch, aus dem der Erdhaufen stammt, reißt einen Zaunsteckstein mit sich, der einem das Bein zerquetscht; man kann sich irgendwie ins Dixiklo retten, in dessen Tank jedoch ein Zitterrochen wohnt, der einen mit Elektroschocks hinrichtet. Ende.

Was die "schwebende Last" sein soll, konnte ich mir allerdings mit noch so viel Fantasie nicht herleiten. Vielleicht die Atmosphäre des Ortes? Der Bauzaun steht nämlich auf dem ehemaligen Mauer-Todesstreifen. Ein Ort, von dem man denken würde, dass dort früher Schlimmeres geschah als heute. Aber, richtig: Exakt so fangen Horrorfilme auch an.

Die 100 Sekunden Leben Folge ist eine Wiederholung und lief erstmals im April 2023