Ihnestraße 22, früher das Kaiser-Wilhelm-Instituts für menschliche Erblehre, Anthropologie und Eugenik, heute Teil der FU
picture alliance / Bernd Oertwig/SCHROEWIG
Bild: picture alliance / Bernd Oertwig/SCHROEWIG Download (mp3, 16 MB)

Vis à vis - FU-Knochenfunde werden bestattet - Kritik aus der Wissenschaft

16 000 Knochen sind vor acht Jahren an der FU Berlin gefunden worden. Sie stehen wohl im Zusammenhang mit Verbrechen während der Kolonial- und NS-Zeit. Jetzt werden die Funde bestattet. Sabine Hildebrandt von der Harvard Medical School kritisiert, dass so eine genauere Identifizierung nicht mehr möglich sein werde. Von Lena Petersen

Die bei mehreren Grabungen auf dem Campus der Freien Universität (FU) Berlin gefundenen menschlichen Knochen werden am Donnerstag, 23. März, auf dem Waldfriedhof in Dahlem bestattet. "Im Gedenken an Opfer von Verbrechen im Namen der Wissenschaft", heißt es in einer Mitteilung der FU. Die Funde, die seit 2014 gemacht wurden, sollen von Opfern aus Verbrechenskontexten stammen - insbesondere aus Sammlungen im ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.

Medizinhistorikerin: "Es geht um die Würdigung des einzelnen Menschen"

 

Es handele sich dabei um Knochen, die "entweder aus Auschwitz oder aus kolonialen Kontexten, also auf jeden Fall aus einem sogenannten Unrechtszusammenhang" stammen, erklärt Sabine Hildebrandt. Sie forscht an der Harvard Medical School in Boston schwerpunktmäßig zur Medizingeschichte und -ethik der Anatomie im Dritten Reich. Es sei wichtig, die Identität und die Biografie der Menschen, denen Unrecht angetan wurde, so weit wie möglich zu verifizieren: "Es geht um die Würdigung des einzelnen Menschen und der verfolgten Menschengruppe und es geht um die Erinnerung an diese Geschichte des Unrechts und die Implikationen für die Gegenwart", sagt sie.

Wenn jetzt die Knochen bestattet werden, sei genau das ausgeschlossen, kritisiert die Wissenschaftlerin. "Die Beerdigung ist nun wirklich ein Schlussstrich - zumindest für diese Knochenreste." Man gehe allerdings davon aus, dass sich auf dem Gelände der Ihnestraße 22 in Dahlem noch weitere menschliche Überreste befänden.

"Wir sind sehr besorgt, dass da wenig Transparenz herrscht"

 

Vor allem kritisiert Hildebrandt fehlende Transparenz in der Angelegenheit. So sei ein Endbericht zu den Knochenfunden niemals freigegeben worden. Das sei für internationale Medizinhistorikerinnen und -historiker ein großes Problem. "Wir sind sehr besorgt, dass da wenig Transparenz herrscht", sagt sie. So seien auch Gespräche mit Betroffenengruppen nicht dokumentiert worden. Für die Ihnestraße 22 wünscht sich Hildebrandt, dass dort ein Gedenkort für die gesamte Geschichte des ehemaligen Instituts für Eugenik entsteht. Es brauche ein "würdiges Gedenken" an die Opfer, betont sie.