Autobahn
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100 Sekunden Leben - Wie man jährlich 23 000 Jahre verschwendet – in Euro!

Kolumnistin Doris Anselm hat endlich Antworten auf metaphysische Fragen! Dafür braucht sei lediglich ein Gutachten der FDP zum Thema "Tempolimit auf der Autobahn".

Wir befinden uns am Abgrund. Das hat die FPD ausgerechnet. Wenn wir uns falsch entscheiden, entsteht ein schwarzes Loch, in das die Zeit gesaugt wird. Das Loch heißt: "Tempolimit auf der Autobahn". Da ist die FDP dagegen, und legt in einem Gutachten folgende alarmierende Rechnung vor. Durch ein Limit von 120 km/h würde jeder Einwohner Deutschlands im Schnitt 24 Sekunden pro Tag verlieren. Jeder! Also anscheinend auch ich, obwohl ich gar kein Auto hab. Voll ungerecht.

Aber viel tiefer erschüttert mich, dass für FDP-Leute eine halbe Minute Zeitverlust eine katastrophale Einbuße darstellt. Offenbar haben die noch nie sinnlos fünf Minuten auf dem Handy verdaddelt. Das Gutachten summiert den Verlust auf 202 Millionen Stunden pro Jahr. Ich hab das mal umgerechnet: Das sind gut 23 000 Jahre. Die man in nur einem Jahr verpulvert! Ist das überhaupt möglich? Und wo geht diese Zeit hin?

Es ist schon ziemlich unfassbar, dass vernunftbegabte Menschen in vollem Ernst eine solche Rechnung aufstellen. Es überzeugt mich endgültig davon, dass hinter der FDP in Wahrheit die "grauen Herren" stecken. Das sind die mit der "Zeitsparkasse" aus dem Buch "Momo". Sie fordern die Menschen zur Eile auf, und dann rauchen sie die eingesparten, vertrockneten Blätter der im menschlichen Herzen gewachsenen Stundenblumen als dicke Zigarren.

Natürlich hat die FDP auch schon ausgerechnet, was der Autobahnzeitverlust angeblich kostet: 5,2 Milliarden Euro im Jahr. Wenn man jetzt Stundenwert, Einwohnerzahl und Lebenserwartung zusammennimmt, schafft die FDP endlich das, was ich immer schon von ihr erwartet habe: Sie ermöglicht die Berechnung, was ein Menschenleben wert ist. Da hör ich jetzt lieber auf zu rechnen.