Abfahrttafel am Hauptbahnhof Stuttgart. Nach einem Defekt bleibt die Anzeige ohne Funktion.
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100 Sekunden Leben - Wenn sich warten nicht mehr lohnt

Die Fernzüge in Deutschland sollen zukünftig alle halbe und volle Stunde fahren - so sieht es ein Plan des Bundesverkehrsministeriums vor. Vergangene Woche hat das Ministerium allerdings mitgeteilt, der "Deutschlandtakt" komme erst 2070 - und nicht 2030. So ist unser Kolumnist Thomas Hollmann gezwungen, schon heute ans Jenseits zu denken.

2070 bin ich schon tot. Denn ich habe nicht vor, 108 Jahre alt zu werden. Selbst wenn die FDP und der Bahnvorstand mich darum bitten und zur Deutschlandtakt-Jubiläumsfahrt einladen sollten. Das ist mir zu mühsam, so lange durchzuhalten, um dann zu erfahren, dass der Deutschlandtakt doch erst 2080 kommt.

Michael Theurer, FDP-Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, und Bahnvorstand Michael Peterson werden 2070 wohl auch schon tot sein. Die könnten mich dann also auch gar mehr nicht abholen zur Jubiläumsfahrt. Weshalb ich stark dafür plädiere, verkehrs- und sonstige politische Ziele zukünftig nicht mehr ins Jenseits zu verlegen. Sonst wartet man sich da nur einen Wolf und kommt schlecht drauf.

2070. Bis dahin sind es noch 47 Jahre. Wer weiß, ob es dann noch die FDP gibt und überhaupt noch jemand mit dem Zug fährt oder alle in ihrem Bunkern sitzen und darauf warten, dass die Insekten-Protein-Pizza mit der Amazon-Drohne kommt, die vermutlich nicht nach dem Deutschlandtakt fliegt.

47 Jahre, das ist länger, als es die DDR gab. Und in der DDR wurde immerhin der Berliner Fernsehturm errichtet. Aber einen Zug zur vollen Stunde von Dresden nach Rostock und von Görlitz nach Aachen zu schicken, das klappt nicht.

Bahnvorstand Peterson hat im "Zeit"-Interview erzählt, die Strecke Köln-Düsseldorf sei viermal gesperrt worden, weil man zuerst den Oberbau erneuert hat, dann die Oberleitung, dann die Weichen und dann das Stellwerk - statt alles auf einmal.

Und das ist nun wirklich deprimierend. Wobei mich am meisten fertig macht, dass nicht nur ich tot sein werde, ehe die Deutsche Bahn nach Plan fährt, sondern voraussichtlich auch meine Tochter.