Im Getriebe der Leistungsgesellschaft
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100 Sekunden Leben - Was bleibt von uns, wenn wir nichts leisten?

Leistung, Leistung, Leistung. Warum eine bedingungslose Leistungsgesellschaft ganz schön trostlos sein kann, darüber hat sich Kolumnist Hendrik Schröder so seine Gedanken gemacht.

Jüngst war ich ziemlich lange und heftig krank und es ist auch noch nicht vorbei. Die ungefähre Diagnose: Post Covid, long Covid, Fatigue Syndrom, körperliche Erschöpfung. Irgendwie sowas halt. Von einem Tag auf den anderen kam das. Seitdem: Leistungsfähigkeit bei 30/40 Prozent. Also nicht bettlägerig, nicht depri, aber auch längst nicht normal belastbar. Wenn man vorher für diverse Dinge brennend mit mindestens vier Beinen in gefühlt gleich mehreren Leben stand, ein fürchterlicher Zustand.

Aber ich will sie nicht mit meiner Krankheitsgeschichte langweilen, ich will sagen: In diesen vergangenen Wochen habe ich mir sehr viele Gedanken über Leistung gemacht. Wer leistet, der ist was, der zählt was, der kann was. Wer nicht leisten kann oder will, der gilt relativ schnell als nicht so brauchbar oder faul und alles in allem als irgendwie weniger wert.

Bestimmt ticken wir nicht alle so und vielleicht ist es auch nicht in jeder Lebensphase gleich wichtig: Aber insgesamt haben wir die Leistungsgesellschaft doch ganz schön verinnerlicht. Wer viel leistet, der hat viel verdient. Wer nicht leistet, dem sollte geholfen werden, vom Arzt, vom Arbeitsamt, wem auch immer, bald wieder leistungsfähig zu sein.

Und so rennen wir und machen und tun und leisten und leisten. Warum eigentlich? Wer hat sich das denn ausgedacht, dass der gesellschaftliche Wert und Status eines Menschen an seiner Leistungsfähigkeit gemessen wird? Dass diese Fähigkeit die absolute Prämisse ist. Wollen wir das überhaupt? Und da ist ja immer die Leistung im marktwirtschaftlich verwertbaren Sinne gemeint.

Vielleicht sollten wir uns viel mehr über das definieren, was wir sind. Und nicht so sehr darüber, was wir tun. Nur so ein Gedanke. Was bleibt übrig von uns, wenn wir all das, was wir schaffen, weg lassen? Wer sind wir dann noch? Solche Fragen können einen ins Bodelose stürzen. Oder ganz schön befreiend sein.