Lächeln einer jungen Frau
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100 Sekunden Leben - Finanzguru sagt: Lächeln muss sich wieder lohnen!

Ein Lächeln kostet nichts – diesen Spruch versucht unsere Kolumnistin Doris Anselm zu beherzigen. Doch in letzter Zeit fragt sie sich immer häufiger, ob ihre Mitmenschen das auch noch so sehen.

Ich geb‘s ja zu, ich hab’s nicht so mit Wirtschaftsthemen. Aber jetzt ist offenbar der Punkt erreicht, an dem ich DIE bahnbrechende ökonomische Nachricht schlechthin verpasst hab: Ein Lächeln kostet jetzt doch was. Ja, vermutlich hat jüngst irgendein sympathisch nach hinten gegelter, 20-jähriger Finanzguru auf seinem YouTube-Kanal vorgerechnet, ab wieviel Gegenleistung es sich lohnt, die Mundwinkelmuskulatur anzuspannen, was ja schließlich Energie verbraucht. Und weil alle außer mir dieses Video gesehen haben, steh ich nun öfters doof da.

Zuletzt gestern. Begegnung im Supermarkt. Am Gewürzregal kreuzt mein Weg den einer Frau. Wir tanzen das übliche Ausweichballett, unsere Blicke treffen sich – und ich lächle. Sie aber nicht. Sie guckt mich an, als wäre ich ein Gegenstand, dann wendet sie sich ab. Im Weitergehen allerdings macht sie sich die Mühe, extra nochmal zu gucken (kann ja sein, dass sie mich kennt, dann müsste sie womöglich doch lächeln). Aber weil sie da schon fast an mir vorbei ist, hat sie für den Gewinn der Erkenntnis "Nö" mittlerweile nicht nur die Augenmuskulatur, sondern auch die Hals- und(!) die Nackenmuskulatur benutzt.

Da wär’ lächeln wirklich der kleinere Aufwand gewesen. Zumal ja ein bloßes Zurücklächeln weniger anstrengend ist als ein Zuerstlächeln. Oder sollte ich inzwischen sagen: kostengünstiger? Liegt das eigentlich an der Inflation, dass die Leute geiziger mit ihrem Lächeln werden? Das ist aber eine Milchbubi-Rechnung, selbst wenn der Bubi bei YouTube einen Sportwagen anhat. In Wahrheit ist es so: Je rauer die Zeiten, desto mehr soziales Schmiermittel brauchen wir, um da halbwegs menschlich durchzukommen. Und mit Schmiermittel meine ich jetzt ausdrücklich kein Haargel.