Symbolfoto Fußballweltmeisterschaft: Ein Fußball vor einer Flagge von Katar
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100 Sekunden Leben - Gucken oder nicht gucken, das ist hier die Frage

Am Sonntag beginnt die Fußball-WM in Katar. Viele Fans stehen jetzt vor der Gewissensfrage: Gucken oder nicht gucken? Unser Kolumnist Thomas Hollmann hat sich entschieden - und macht den Fernseher an.

Ich muss ja. Könnte ich sagen. Und das stimmt sogar. Um im Sport über die Spiele zu sprechen, muss ich die sehen. Aber ich würde die WM auch gucken, wenn ich es nicht müsste.

Weil ich Fußball mag. Die Fifa mag ich hingegen nicht. Die mochte ich noch nie. Trotzdem habe ich auch all die Weltmeisterschaften zuvor geschaut. Wie ich auch diese schauen werde, obschon sich Katar das Turnier vermutlich erkauft hat und in dem Land Frauen unterdrückt, Schwule bedroht und Arbeiter ausgebeutet werden.

Dennoch bringe ich nicht genügend moralische Empörung auf, um den Fernseher auszulassen. Was daran liegen könnte, dass in Katar zuvor schon die Handball-WM, die Leichtathletik-WM, die Rad-WM, die Tischtennis-WM, die Turn-WM und die WM im Gewichtheben stattfand, ohne dass sich darüber irgendjemand echauffierte. Dabei kamen auch auf den Baustellen der Sporthallen Arbeiter ums Leben.

Und wenn schon Moral, dann doch konsequent, meine ich. Das Champions League-Achtelfinale zwischen den Bayern und Paris Saint Germain müsste also unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, werden die Bayern doch von den Katarern gesponsert und Paris Saint Germain gehört dem Emirat sogar ganz.

Autos von VW, Waschmaschinen von Siemens, Strom von RWE,- alles tabu. Denn an all diesen vorbildlich deutschen Konzernen hält Katar teils erhebliche Anteile. Und Flüssiggas aus Katar kommt natürlich auch nicht in die Tüte – und die heimische Heizung.

Gemein, nicht wahr? Dabei hätte auch alles ganz anders kommen können. Wenn bei der WM-Wahl seinerzeit die USA gewonnen hätten. Dann würde jetzt kein Mensch über Katar reden. Ob der Welt damit geholfen wäre – und den Frauen und den Schwulen und den Arbeitern in Katar? Ich habe da meine Zweifel. Und im Zweifel – guck‘ ich Fußball.