Archivbild: Ein Blick auf die autofreie Friedrichstraße in Berlin-Mitte. Außer wenigen Radfahrern ist diese zwischen den Häusern leer (Bild. picture alliance / ZUMAPRESS.com)
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100 Sekunden Leben - Ästhetik gegen drängelnde Drohgebäude

In Berlin droht schon der nächste Rechtsstreit im Konflikt um die autofreie Friedrichstraße. Anrainer wollen juristisch gegen den Verwaltungsakt vorgehen, der Autos dort auch dauerhaft verbieten soll. Kolumnistin Doris Anselm hat was gegen Autos – sieht aber eher ästhetische Probleme.

In meiner Familie werde ich bisweilen aufgezogen, weil ich mal "Ästhetische Praxis" studiert habe. Wann ich sie denn eröffnen würde, meine ästhetische Praxis, wird dann spöttisch gefragt, und ob ich schon eine Sprechstundenhilfe hätte. Ich habe das immer als blöden Witz durchgewunken.

Aber seit in Berlin die Debatte über die autofreie Friedrichstraße tobt, und seit ich diesen Ort nun ein paar Mal besucht habe, möchte ich sagen: JETZT! Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich oder irgendwer dringend eine ästhetische Praxis in Berlin eröffnen sollte.

Wobei man eigentlich auch nicht studiert haben muss, um einen Ort zu erkennen, an dem sich Menschen ungern aufhalten. Die Friedrichstraße ist so ein Ort. Kein Baum, kein Strauch, der die schnurgraden Kanten der maximalkapitalistisch drängelnden Drohgebäude abmildern könnte.

Stimmt schon, früher spürte man da als Fußgänger auch noch die unterschwellige Angst, dass einen diese Häuserfronten jederzeit vom schmalen Bürgersteig vor ein Auto schubsen könnten, falls man nicht schnell genug so viel Geld wie möglich ausgibt. Aber die Autos waren nicht das Problem. Und das sage ich! Und ich habe was gegen Autos!

Aber nur weil ein Ort autofrei ist, hält man sich noch lange nicht gerne dort auf. Sonst wär ja sonntags jeder Baumarktparkplatz eine soziale Oase. Ich bin wirklich sehr für die Verkehrswende, aber an dieser Stelle denk ich immer noch großzügig: Die Friedrichstraße können die Autofahrer behalten.

Ansonsten müsste man schon ein, zwei Klötze abreißen und stattdessen was Grünes anlegen, mit Bäumen, Bänken, Brunnen, Büdchen. Aber was Bescheidenes, nicht so ein Stadtplaner-Denkmal-Millionengrab. Einen Ort mit menschlichem Maß. Ästhetisch eben. Ästhetisch, praktisch, gut.