Interview - Soziologe: Fundamentale Gegensätze zwischen Union und AfD
Die Ost-Bundesländer sind fest in AfD-Hand. Der Soziologe Ortwin Renn erklärt sich das mit Wut, Empörung und der schwierigen Wirtschaft. Lösungen habe die Partei keine anzubieten.
Die AfD hat bei der Bundestagswahl in den östlichen Bundesländern nahezu durchgehend gewonnen. Der Soziologe Ortwin Renn leitet das Potsdamer Forschungsinstitut Dialogik. Er hatte nach den großen Anti-Rechts-Demonstrationen im letzten Jahr angenommen, die große Zeit der AfD sei vorbei. Dass es nicht so gekommen ist, hat in seinen Augen mehrere Gründe:
"Ganz sicher war der Auftrieb dadurch mit beeinflusst, dass zum einen diese schrecklichen Attentate in Deutschland geschehen sind. Das ist natürlich etwas, was die Leute empört und wo man dann fragt: Welche Partei wird am ehesten dafür sorgen, dass so etwas nicht noch mal passiert?" Außerdem spiele die schwierige Wirtschaftslage eine Rolle, die für viele Menschen kritisch geworden sei. Und das Aus der Ampelkoalition habe ebenso beigetragen.
Renn: Lösungen der AfD sind eine Wünsch-Dir-Was-Liste
Dass gerade im Osten die AfD so erfolgreich ist, liegt laut Renn daran, dass viele Menschen das als einzige Möglichkeit sähen, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Die AfD habe es geschafft, Anliegen aufzunehmen, die von den anderen Parteien nicht stark in den Mittelpunkt gerückt worden seien. Dabei habe sie es aber auch einfach:
"Die Lösungen, die im Parteiprogramm stehen, sind natürlich eine Wünsch-Dir-Was-Liste und das können sich natürlich Oppositionsparteien immer ganz gut leisten, weil sie eben nicht in der Verantwortung stehen." Diejenigen müssten sehr viel kritischer sehen, ob die Versprechen überhaupt bezahlbar und machbar seien.
Soziologe: AfD-Verbot wäre eine Bankrotterklärung für politischen Diskurs
Eine Zusammenarbeit zwischen CDU/CSU und AfD ist für Renn auch weiterhin nur schwer vorstellbar: "Dass man eine gewisse Einigkeit vielleicht in der Migrationspolitik hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen anderen Bereichen einfach fundamentale Gegensätze bestehen. […] Es gibt einfach keine gemeinsamen Berührungspunkte, die groß genug sind, dass man überhaupt eine Koalition machen kann – und das hat mit Antidemokratie nichts zu tun."
Davon abgesehen verträten viele Funktionäre der AfD weiterhin rechtsextreme Positionen, die mit dem demokratischen Grundverständnis in Deutschland nicht vereinbar seien. Dennoch ist Renn gegen ein Verbot der AfD: "Das wäre in meinen Augen eine Bankrotterklärung für den politischen Diskurs." Stattdessen müssten die Anliegen der AfD-Wählerinnen und Wähler angegangen werden. Wenn das gelinge, könnte man auch die Ostdeutschen wieder ansprechen.