Interview - Jurist: Verfassungsordnung muss vor Populisten geschützt werden
Der Bundestag berät einen Gesetzentwurf, der das Bundesverfassungsgerichtes vor dem Zugriff durch autoritäre Kräfte schützen soll. Der Jurist Maximilian Steinbeis erklärt die Schwachstellen.
Der Bundestag hat sich für den Donnerstag eine juristisch sehr anspruchsvolle, aber gleichzeitig ungeheuer wichtige Angelegenheit für unseren Rechtsstaat vorgenommen: Er will das Bundesverfassungsgericht besser vor dem Zugriff von autoritären Kräften schützen. Siehe Ungarn oder Polen: Die Verfassungsgerichte dort waren das erste Angriffsziel der populistischen Regierungen. Sie haben ihnen neue Regeln und neue Richter gegeben, um den Rechtsstaat in ihrem Sinne auszuhöhlen.
Der Bundestag bespricht erstmals eine Grundgesetzänderung, die die Unabhängigkeit unseres Verfassungsgerichtes sichern soll. Angestoßen hat das unter anderem der Jurist Maximilian Steinbeis. Er hat schon vor fünf Jahren in einem Artikel in einem Fachmagazin Schwächen unseres Verfassungsgerichtes aufgedeckt. Er findet eine solche Änderung absolut notwendig und verweist eben auf Ungarn und Polen:
Warnende Beispiele: Ungarn, Polen - und Thüringen
"Man sieht, dass da eine Strategie am Werk ist, die zum Ziel hat, ein autoritäres Regime zu errichten und eines der Mittel, die sie dazu anwendet, ist, die Institutionen zu neutralisieren, die ihr dabei im Weg sein könnten – und dazu gehört zuallererst das Verfassungsgericht. Und wie wir jetzt in Thüringen spätestens gesehen haben, ist das ein Zirkus, der auch in unsere Stadt kommt. Der autoritäre Populismus ist eine globale Bewegung – und auf den müssen wir uns und auch unsere Verfassungsordnung und unser Grundgesetz vorbereiten."
Die Schwachstellen sieht Steinbeis in vielen kleinen Regelungen rund um Organisation und Verfahren, wie beispielsweise die Zahl der Senate oder der Richter, die mit einer einfachen Mehrheit zu ändern seien. So könne eine populistische Regierung mit einfacher Mehrheit "die Zahl der Richter so aufpumpen, dass ganz viele neue Richter ernannt werden müssen – und die kann man dann selber auswählen."
Zwei wichtige Punkte fehlen noch
Geändert werden soll beispielsweise, dass die Blockademöglichkeit der Sperrminorität aufgelöst wird: Wenn mehr als ein Drittel der Abgeordneten sich weigere, sich an der Ernennung eines Richters zu beteiligen, kann dann der Bundesrat einspringen.
Dass der Gesetzentwurf durchgeht, glaubt Steinbeis. Was dem Juristen beim jetzigen Kompromiss zwischen Regierung und Union allerdings noch fehlt, ist die Absicherung der Zweidrittelmehrheit, um Richter zu wählen. "Das steht auch nicht im Grundgesetz drin, das könnte auch eine einfache Mehrheit im Bundestag abschaffen […] und dann hat die Regierungsmehrheit die Kontrolle drüber, wer an das Gericht gewählt wird und wer nicht." Außerdem fehle ihm ein Vetorecht für den Bundesrat bei Änderungen am Bundesverfassungsgericht.