Interview - Sozialwissenschaftler: Arbeitskräftemangel wird sich verschärfen
Stellenangebote gibt es gerade massenhaft: Bäcker suchen Leute für den Verkauf, Sanitärbetriebe werben um Kräfte, Lehrerinnen fehlen, Pfleger im Krankenhaus sowieso. Zuwanderung helfe zwar gegen den Arbeitskräftemangel, man müsse aber vor allem das inländische Potential aktivieren, sagt Sozialwissenschaftler Stefan Sell.
Der Arbeitsmarkt in Deutschland sei derzeit in einer paradoxen Situation, sagt Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaft und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz. "Der Mangel bezieht sich mittlerweile nicht nur auf Fachkräfte, sondern sogar auf Arbeitskräfte insgesamt, also auch auf Un- oder Angelernte", erklärt er. Gleichzeitig habe es im vergangenen Jahr einen Rekordwert bei der Beschäftigung gegeben.
"Noch nie waren so viele Menschen beschäftigt: 45,6 Millionen waren es und damit sogar fast 300 000 Beschäftigte mehr als vor Beginn der Corona-Pandemie", sagt Sell. Einerseits wachse der Arbeitskräftebedarf sowieso und gleichzeitig kämen zwei Dinge hinzu. "Jetzt schlägt immer mehr der demografische Wandel durch", meint der Volkswirtschaftler.
"Das konnte man früher durch eine steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen ausgleichen - und durch Zuwanderung. Aber das stößt immer mehr an die Grenzen." In den nächsten 15 Jahren würden mehr als 13 Millionen Baby-Boomer den Arbeitsmarkt verlassen, betont Sell. Davon werde man aber wahrscheinlich nur sieben bis acht Millionen ausgleichen können.