rbb
Bild: rbb

Nahaufnahme vom 27.01.2012 - Sekundarschule - mittlerweile alles Routine?

Heute gibt es in Berlin und Brandenburg Zeugnisse. Für viele Eltern stellt sich dann wieder die Frage nach der weiterführenden Schule nach den Sommerferien. In Berlin gibt es dafür nur noch die Wahl zwischen Gymnasium und Sekundarschule. Eine dieser Sekundarschulen hat Gabriele Heuser durch das letzte Schuljahr begleitet.

Zur Einführung der Sekundarschule hat Inforadio im vergangenen Jahr die Klasse 7d der Röntgenschule in Neukölln regelmäßig besucht, um zu erfahren, wie Schüler, Lehrer und Eltern die Schulreform erleben. Zum Ende des Schulhalbjahres hat Gabriele Heuser jetzt wieder einmal nachgesehen, was sich dort seit ihrem letzten Besuch im Juni getan hat.

8d steht jetzt auf dem Türschild zum Klassenraum im zweiten Stock. Grüne Vorhänge für die Fenster gibt es dort inzwischen, auch eine große Pflanze und bunte Projektplakate an den Wänden. Aber sonst hat sich nicht viel verändert seit meinem letzten Besuch vor den Sommerferien. Nach wie vor kämpft Klassenlehrer Detlef Bachmann vor dem großen Whiteboard in der Mathestunde um Aufmerksamkeit.

Detlef Bachmann

Im Moment gibt es jetzt nur einen, der redet und das bin ich…. Blendona, kannst du dich bitte mal richtig hinsetzten. So…Umfang von Quadraten und Rechtecken …

Irgendwie sehen sie reifer aus, denke ich, zumindest äußerlich. Manche der Mädchen sind geschminkt und bei dem ein oder anderen Jungen deutet sich ein Hauch von Bartwuchs an. Rumhampeln und Blödsinn machen steht aber bei vielen immer noch an erster Stelle, sagt die zweite Klassenlehrerin, Gabriela Lehnen, und offenbar besonders bei denen, die vom Stoff wenig verstehen.

Gabriela Lehnen

Die Bandbreite ist, klar, nach wie vor da. Die Arbeitsmoral ist auch nicht unbedingt die beste, beziehungsweise sie ist unterschiedlich. Wir haben in der letzten Woche zwei Arbeiten geschrieben. Für die erste haben die fast alle zwei tage lang geübt, für die Chemiearbeit haben sie gar nichts gemacht. Die haben sie voll in den Sand gesetzt. Und ich war erst sehr sauer, bin dann aber in die Klasse gegangen und hab’ gesagt: Leute erklärt es mir. Ihr jetzt eure Chemienote alle riskiert, warum?

Doch im Vergleich zu ihren Erfahrungen von früher, freut sich die ehemalige Hauptschullehrerin immer noch darüber, dass durch die neue Mischung in der Klasse auch die Schwächeren durchaus Interesse an Stoffen zeigen, die sie ihnen in der Hauptschule niemals hätte schmackhaft machen können.

Lehnen

"Ich bin immer wieder einfach überrascht. Jetzt in Ethik hab ich ein Umweltthema: Rettet die Nordsee. Die sind dabei, die sind interessiert, die wollen was wissen. Das kenn’ ich nicht. Das ist so was sich für mich verändert hat und was ich nach wie vor wunderschön finde. Das ist so das Positive jetzt."

Ob sie denkt, dass so denn alle Schüler auf ihre Kosten kommen und optimal gefördert werden, frage ich sie.

Lehnen

"Nein, es könnte schon besser laufen. Und die Ideen sind natürlich auch da. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir immer wieder während des Unterrichts kleinere Lerngruppen bräuchten. Und das ist hier nicht möglich. Also, ich muss Schüler rausschicken können. Man kann nicht in einem Raum, normaler Schulraum, mit 25 Kindern …da kann man kaum Gruppenarbeit machen, das ist zu laut."

Wie in der Mathestunde, in der viele durcheinander reden. Bei den meisten ist Mathematik das Hassfach Nummer eins, berichten mir Blendona, Fergan, Rosa, Mahmoud, und Brenda.

- Der Unterricht ist gut. Ich glaube ich werde zu viel abgelenkt und da komm ich nicht so richtig mit. Ich versuche immer die Aufgaben durchzulesen und dann kommt eine von da oder von einer anderen Seite und quatscht mich voll. Oder ich quatsch die manchmal an. Und dann komme ich nicht mit …

- Bei mir läuft’s gut eigentlich, aber bei Mathe hab’ ich ne 5. Ich hör da meistens nicht zu, aber ich versteh’ das auch meistens nicht. Reporterin: Denkst du denn, du kriegst genug Unterstützung? Ja schon, aber ich kriegs’s nicht so gut erklärt.

- Das Fach ist schon sehr schwer. Und wenn ich’s nicht kapiere, dann lenkt mich irgendetwas anderes ab. Sofort. Zum Beispiel Mathe habe ich glaube ich zwischen 4 und 5, Englisch 4, ansonsten alles 3, 2 und wahrscheinlich eine 1.

- Wenn mich ein Lehrer langweilt, dann schlafe ich schnell in der Schule ein. Und ich hab kein Bock mehr mitzumachen. - Mathe und Erdkunde, und Englisch. Englisch mag ich überhaupt nicht, weil ich kein Englisch verstehe. Deswegen.

Mathe und Englisch werden seit dem Sommer in getrennten Gruppen unterrichtet. Im Mathe Grundkurs für die schwächeren sitzen 18 der insgesamt 26 Schüler aus der Klasse. Die übrigen 8 werden zusammen mit den Besseren aus der Parallelklasse im E-Kurs unterrichtet. Diese Praxis hat sich bewährt, sagt Detlef Bachmann.

Detlef Bachmann

Das bringt nämlich auch so ein bisschen Leistungsanreiz tatsächlich mit sich. Schüler, die im G-Kurs sitzen und sehen, selber merken, sie kommen eigentlich ganz gut zurecht, sie zählen da zu den Leistungsträgern, sind immer als erste mit den Aufgaben fertig, die stehen dann natürlich da und fragen, ob sie nicht in den E-Kurs aufrücken können. Also das ist eigentlich das, was man ja versuchen will damit zu bezwecken und das scheint auch zu fuktionieren.

Und tatsächlich: zwei Schüler aus dem Mathe-G Kurs können im nächsten Halbjahr aufrücken, das stärkt das Selbstvertrauen. Auch Rosa, die sich mit der Mathematik so schwer tut, hat auf diese Weise ihr Erfolgserlebnis in einem anderen Fach.

Rosa

Das was richtig gut läuft, ist zum Beispiel jetzt Englisch. Also da bin ich schon richtig gut und so und krieg auch gute Noten. Ja, und ich kann mich auch richtig gut konzentrieren und verstehe auch das meiste.

Reporterin: Und bist du da in einem E- oder G- Kurs?
Rosa: In einem G, aber dieses Halbjahr wechsle ich in den E-Kurs.
Reporterin: Toll, und wie findest du das?
Rosa: Gut. Ja aber ich bin mir sicher, der E-Kurs ist auch schwerer. Aber ich denke, ich komm’ schon klar damit.

E-Kurse in den Hauptfächern sind wichtig für alle, die nach der 10. Klasse in die Oberstufe wechseln und das Abitur machen wollen, also in erster Linie für ein Teil derer, die früher auf eine Realschule gegangen wären. Aber lernen die an der Sekundarschule wirklich so viel wie früher? frage ich den ehemaligen Realschullehrer Bachmann, oder kommen die jetzt vielleicht zu kurz?

Bachmann

"Ne, also aus meiner Sicht kommen die nicht zu kurz. So vom Gefühl her bin ich eigentlich sicher, dass unsere Realschulaspiranten sozusagen auch in den E-Kursen sitzen. Aus Gesprächen mit Kollegen denke ich eigentlich, dass die das Niveau gehalten haben."

Das gilt vielleicht für die E-Kurse Mathe und Englisch, aber bei dem Rest da sind sich die Schüler nicht so sicher. Yunnus, zum Beispiel, gefällt die neue Mischung noch immer nicht. Er peilt schließlich das Abitur an:

Yunnus

"Das war eine Scheiß-Idee mit dieser Sekundarschule Hauptschüler und Realschüler zu mischen, weil ich selber, als Realschüler, kann mich nicht so konzentrieren wenn ich im Unterricht bin und dann noch mit Hauptschülern jetzt gemischt bin. Es ist nicht jetzt so, das ich allgemein was gegen die habe, aber so von unterricht her."

Unterricht zusammen mit den strebsamen Klassenkameraden nur in Mathe und Englisch, das stört auch Chahira.

Chahira

"Die Realschüler, wenn die zusammen Unterricht machen würden, die würden mehr lernen, also das könnte schneller im Unterricht gehen, wenn die Hauptschüler nicht dabei wären und stören, oder nichts kapieren. Es wäre besser, wenn die Hauptschüler an einer Schule zusammen wären, vielleicht wäre es für die besser und die Realschüler."

Und Ex-Realschullehrer Bachmann gibt am Ende doch zu:

Bachmann

"Es war früher anspruchsvoller. Wenn Sie jetzt durchs Kollegium gehen und die alten Realschullehrer ansprechen, dann werden Sie die einhellige Meinung hören: Die Realschule ist abgeschafft."
Reporterin: Schade!?

"So gesehen Schade. Und wir müssen dran arbeiten, dass wir die Realschule wieder etablieren. Nicht als Schulform, sondern als Leistungs-orientierte Stufe hier an der Schule . Dass wir also zusehen, dass wir unsere Schülerschaft, die wir auch jetzt hier in den Klassen sitzen haben, dann wieder zu Realschülern machen."

Ob dafür an der Röntgenschule in den Stufen 9 und 10 dann ganz neue Klassen in unterschiedlichen Leistungsstufen zusammengestellt werden, oder ob es in allen bei der bisherigen Mischung bleiben soll, das wird zur Zeit diskutiert. Fortsetzung folgt - aber jetzt gibt's erst einmal Winterferien.