Sandra El Faour, die Mutter von Mahmoud (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)

Nahaufnahme vom 21.03.2014 - Sekundarschule - Elternsprechtag vor den Abschlussprüfungen

Inforadio geht in die Schule. Wir begleiten Schüler der Röntgenschule in Neukölln. Inzwischen sind die Schüler in der 10. Klasse und stehen kurz vor ihren Abschlußprüfungen.

Mit großen Schritten geht es für die 10. Klässler der Sekundarschulen auf die Abschlußprüfung zu. Inforadio begleitet seit 2010 Schüler der Röntgenschule in Neukölln. Diesmal war Reporterin Gabriele Heuser beim Elternsprechtag.

Geschäftiges Gewusel im Schulgebäude, Plakate mit den Raumnummern der einzelnen Lehrer werden aufgehängt. Auch Frau Lehnen, die Klassenlehrerin der 10 d hat ab 17 Uhr Termine für den Sprechtag vergeben. Für die Eltern ihrer 10. Klasse ist es die letzte Möglichkeit, vor den Abschlussprüfungen noch einmal Kontakt mit den Lehrern aufzunehmen. Doch ob viele diese Chance auch nutzen? Da ist die Lehrerin skeptisch.

Lehrerin Lehnen: "Ich würde es begrüßen, wenn möglichst alle kommen, es haben sich 15 angemeldet, aber heute kamen auch schon wieder die ersten Absagen. Ich hoffe, Sie nehmen den Termin wahr."

Auch ihr Kollege Detlef Bachmann, der zweite Klassenlehrer der 10d, ist nicht besonders zufrieden, wenn er sich die Anmeldeliste ansieht.

Lehrer Bachmann: "Die Eltern, die kommen müssten, kommen in der Regel nicht. Das zeigt sich heute leider auch wieder ein bisschen. Es gibt eine Reihe von Gesprächen, die wir mit einigen Eltern führen müssten, aber da passiert nichts. Es kommt niemand oder es kommt aus der Familie jemand, der aber nicht unbedingt der richtige Ansprechpartner für uns ist."

Die Deutschlehrerin im Gespräch mit einer Mutter (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)
Die Deutschlehrerin im Gespräch mit einer Mutter

Viele Schüler warten mit Bewerbungen

Tatsächlich läuft es zu Beginn der Sprechstunde nur sehr schleppend an. Die Mutter von Orkan, dem aufgeweckten Jungen, der sich für Ernährungsfragen interessiert, ist schließlich die erste, die zum Lehrergespräch auftaucht.

Die beiden Klassenlehrer Gabriela Lehnen und Detlef Bachmann begrüßen sie ganz erfreut, auch die Deutschlehrerin ist da, um den Eltern Auskunft zu geben. Doch zunächst ist die Mutter dran: "Wenn die Schule zu Ende ist, macht er weiter, entweder schulisch oder er sucht eine Lehrstelle. Er hat sich schon im Oberstufenzentrum beworben und wurde auch angenommen. Er hat auch vom Arbeitsamt viele Stellen als Koch angeboten bekommen, 30 oder 40 Stück schon."

"Hat er sich denn schon beworben?", fragt die Lehrerin nach.
"Nein, noch nicht", räumt die Mutter ein.
"Viele der Schüler hier, die sagen, sie machen erstmal ihr Abitur, gucken dann nicht mehr nach rechts oder links, sondern melden sich einmal an und denken das war's", erzählt Lehrerin Lehnen. "Wir (Lehrer) sind der Meinung, es muss ja erstmal was mit dem MSA werden und sollte es nicht klappen, dann sollte man sich dazu parallel auf jeden Fall bewerben."

"Welches Oberstufenzentrum hat Orkan denn gewählt?", fragt Klassenlehrer Bachmann nach. "Recht", sagt die Mutter von Orkan. Lehrerin Lehnen: "Recht statt Ernährung! Recht - da wollen alle hin, weil sie denken, jetzt sind sie seit der Grundschule zusammen und gehen alle als Klasse zum OSZ Recht, was natürlich nicht so richtig Sinn macht, wenn sich jemand für Ernährung interessiert."

Der Mutter war gar nicht klar, erzählt sie mir anschließend, dass es auch ein Oberstufenzentrum speziell für Ernährung gibt. Da hat sie sich ganz auf Orkan verlassen, sagt sie: "Gott sei Dank ist er sehr gut informiert. Er hat verstanden, was er machen muss, damit er weiterkommt. Ich lasse ihn auch. Er ist jetzt schon 16 und alt genug. Ich bin froh, dass er seine eigenen Sachen schon selber entscheidet."

Trotzdem will sie nach dem Gespräch mit den Lehrern nun noch einmal mit dem Sohn reden.

Eine Schwester im Gespräch mit den Lehrern (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)
Die Lehrer informieren über die Möglichkeiten nach der Sekundarschule

Manchmal schicken die Eltern Geschwister oder Verwandte

Mittlerweile sind weitere Eltern oder Geschwister zum Sprechtag eingetroffen. Nicht immer ist es erfreulich, was sie zu hören bekommen, wie im Fall dieser besorgten Schwester, die anonym bleiben möchte. Hier schaltet sich auch die Deutschlehrerin mit ins Gespräch ein: "Man hat bei ihm manchmal auch den Eindruck, dass er nicht merkt, dass es wirklich zehn vor zwölf ist."

Lehrer und Familie sind ratlos, wie dem jungen Mann noch auf die Sprünge geholfen werden könnte.

Eine andere Mutter erfährt an diesem Abend zu ihrem Erstaunen, dass ihr Sohn so viele Fehltage hat, dass er sich damit ein gutes Lehrstellenangebot in seinem Traumberuf Chemielaborant abschminken muss. Beide Eltern arbeiten schon früh morgens, sagt die Mutter und bekommen so gar nicht mit, dass der Sohn nicht in die Schule geht. Auch da Ratlosigkeit. Schulterzucken.

Kein Einzelfall. Zwar sind es nur etwa 10 Prozent der Schüler, die praktisch gar nicht da sind, aber für den ehemaligen Realschullehrer Bachmann ist das eine ganz neue Erfahrung. Die hängt auch damit zusammen, dass die Schüler seiner Klasse auf bis zu sechs unterschiedliche Kursniveaus verteilt werden.

"Durch das Kurssystem hat man ja auch die Schwierigkeit, dass man nicht mehr so den richtigen, hundertprozentigen Überblick über die Klasse hat, wer ist da, wer ist nicht da? Ich sehe meine Schüler in Gesamtheit zwei Stunden in der Woche. Hier zeigt sich zum Teil, das, was wir vom Hörensagen aus der Hauptschule kennen, dass einige einfach weg diffundieren. Die gehen zu Hause los, kommen aber nicht in der Schule an. Dann versucht man wieder an die Eltern ranzukommen. Das geht mal schlechter, mal besser. Dann werden Schulversäumnisanzeigen an das Jugendamt geschickt und dann kriegt man die Antwort, man sieht keinen Handlungsbedarf und so passiert nichts."

Schade, sagt er, denn meistens könnten auch diese Schüler vom Intellekt her mehr aus sich machen.

Sandra El Faour ist stolz auf ihren Sohn

Große Pläne und Träume

Sandra El Faour, die Mutter von Mahmoud und seinen sechs Schwestern ist die letzte, die in der Tür steht. Ihr Sohn will seit neuestem zur Bundeswehr, obwohl der Vater davon gar nicht begeistert ist. Aber sie denkt, wenn Mahmoud das möchte, ist das ok. Im April muss er aber erst einmal zur Musterung. Der Schulabschluss ist ihr wichtig, erklärt sie den Lehrern.

"Auf jeden Fall sollte er sich anstrengen den MSA zu schaffen. Ich muss sagen, er kümmert sich auch selber um alles. Er hat sich beim OSZ beworben, da hat er heute einen Brief bekommen. Das macht er schon alleine."

Die Deutschlehrerin stellt eine Zwischenfrage: "Mahmoud hat mir erzählt, dass er den Mittleren Schulabschluss MSA gar nicht machen kann, weil er nur einen E-Kurs hat. Also einen MSA wird er jetzt definitiv nicht erlangen."

"Ah ok, dann eben den erweiterten Hauptschulabschluss", sagt seine Mutter. "Das ist ja schon eine erweiterte Berufsbildungsreife", sagen die Lehrer.

"Wenn er nicht bei der Bundeswehr angenommen wird, macht er noch ein Jahr OSZ", erzählt die Mutter.

Kein Abschluss ohne Anschluss lautet des Versprechen des Berliner Senats. Irgendwie geht es immer weiter, nur den richtigen Weg zu finden für das eigene Kind, ist für viele Eltern schwer. Auch für Sandra El Faour, die regelmäßig zu den Sprechtagen in der Schule gekommen ist.

"Mit dem Oberstufenzentrum habe ich mich noch nicht so richtig beschäftigt, aber wenn er da vielleicht hingeht, dann werde ich mich damit beschäftigen. Da gibt es ja bestimmt auch Elternabende, wo man sich Informationen holen kann", erzählt sie.

Fortsetzung folgt

Im Moment laufen die Bewerbungsverfahren. Dank der externen Beratung an der Röntgenschule sind bereits viele der 10. Klässler irgendwo angemeldet, aber ob es auch immer die richtige Wahl war? Sandra El Faour jedenfalls hofft darauf, dass der Sohn es schon richtig macht:

"Man muss es den Kindern auch zutrauen, die müssen ja später auch allein durchs Leben gehen. Mit Unterstützung von uns, aber hoffentlich ziemlich selbständig."

Was aus den Plänen wird? Wir werden sehen. Fortsetzung folgt.