- VdK begrüßt Triage-Urteil

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag geurteilt: Die Bundesregierung muss Ärzten und Ärztinnen unverzüglich per Gesetz Anweisungen geben, wie sie im Falle einer Triage handeln sollen. Die Richter erklärten, Menschen mit Behinderung müssten besonders geschützt werden. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, begrüßt das Urteil.

Die Klage sei schon vor über einem Jahr, im Sommer 2020, eingereicht worden, erklärt Bentele. "Es hat jetzt doch lange gedauert, bis das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt hat." Viele Menschen seien verunsichert, weil der Gesetzgeber bisher keine Regelung für den Fall einer Triage getroffen hat. "Als Menschen mit Behinderung, als ältere Menschen fragen sie sich: Bekomme ich denn die intensivmedizinische Versorgung, die ich brauche, wenn ich im Krankenhaus bin mit einer Corona-Infektion?"

Bisher könnten glücklicherweise alle Menschen in Deutschland versorgt werden, so die VdK-Präsidentin. Man sehe ja, dass notfalls Patientinnen und Patienten in andere Regionen verlegt werden, wenn Kliniken überlastet sind. Bentele kritisiert, dass es bislang keine gesetzliche Regelung für den Ernstfall gibt: "Damit sind Ärzte und Pfleger extrem allein gelassen worden." Durch das Urteil sei nun der Gesetzgeber am Zug: "Und das ist wichtig und richtig so."

Hintergrund

Stichwort: Triage

Der Begriff Triage stammt aus der Kriegsmedizin und wird vielfach synonym zum Begriff Sichtung verwendet. Die Triage gewann erstmals in den napoleonischen Kriegen des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Die Bezeichnung kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie auslesen, auswählen oder sortieren.

Heute kommt die Triage in der Katastrophenmedizin, aber auch in der Intensivmedizin vor. Ärztinnen und Ärzte verwenden sie bei einem sogenannten Massenanfall von Verletzten. Dabei werden Patienten nach Dringlichkeit und Schwere der Erkrankung oder Verletzung sortiert. Vereinfacht gesprochen werden sie dabei in drei Gruppen aufgeteilt: Menschen, die keiner Behandlung bedürfen, Patienten, die keiner Behandlung mehr bedürfen, weil sie sterben werden, und Patienten, die medizinisch versorgt werden müssen und auch davon profitieren.

In der Katastrophenmedizin geht es einem Leitfaden des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zufolge um die Handhabung schwerer Schadensereignisse mit einer Vielzahl von Hilfebedürftigen unter Zeitdruck und ungünstigen Umweltbedingungen sowie Ressourcenknappheit. Vorhandene Kapazitäten und Hilfskräfte reichen nicht aus, um alle Betroffenen gleichzeitig optimal zu versorgen. Deswegen müssen Behandlungsprioritäten festgelegt werden.

In der Notfallmedizin werden normalerweise diejenigen Patienten als erste versorgt, die am dringendsten Hilfe benötigen und am schwersten verletzt oder erkrankt sind. In der Katastrophenmedizin kommt es zu einer anderen Prioritätensetzung: Dann wird jener Patient als erstes versorgt, dessen Überlebenschancen höher eingeschätzt werden.

In der Corona-Pandemie stehen Kliniken und Mediziner vor zwei Szenarien: Die sogenannte Ex-ante-Triage bedeutet, dass sehr viele Patienten in ähnlich kritischem Zustand gleichzeitig auf die Intensivstation müssen, die alle ohne Beatmungsgerät nicht überleben, wobei es allerdings nicht genügend Beatmungsgeräte gibt. Ein Zustand, in dem Ärzte nach medizinethischen Kriterien entscheiden müssen.

Die sogenannte Ex-post-Triage ist ein noch schwerwiegenderes ethisches Dilemma. In diesem Szenario sind alle Beatmungsgeräte in Gebrauch, es kommen aber weiterhin Patienten ins Krankenhaus, die auch beatmet werden müssen. Dann könnten Mediziner unter Umständen vor der Entscheidung stehen, einen Patienten vom Beatmungsgerät zu nehmen, um einen anderen zu behandeln. Eine Situation, in der der Staat nicht vorschreiben dürfe, wie Ärzte sich entscheiden sollen, schreibt der Ethikrat in einer Stellungnahme. Der Staat dürfe Leben nicht gegeneinander abwägen.

Dem stimmte das Bundesverfassungsgericht zu und verwies auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Dem stehe jedoch eine Regelung von Kriterien, nach denen zu entscheiden ist, wie knappe Ressourcen zur Lebensrettung verteilt werden, "nicht von vornherein entgegen", heißt es in der Gerichtsentscheidung vom Dienstag.

(Quelle: epd)