Der Autor und Journalist Johannes Groschupf (Quelle Archivbild: dpa/Soeren Stache)
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- Ein anderes Gesicht bekommen

Es war im Jahr 1994, als ein Unfall das Leben von Johannes Groschupf veränderte. Er arbeitete damals als Reisereporter und saß in einem Hubschrauber, der über der algerischen Sahara abstürzte. Er überlebte schwer verletzt als einziger diesen Unfall.  80 % seiner Haut waren verbrannt, ein Jahr lang lag er im Krankenhaus und es war fast ein medizinisches Wunder, dass er überlebte. Seine Erfahrungen verarbeitete er in einem preisgekrönten Radiofeature und im 2005 erschienenen Buch "Zu weit draußen". Ursula Voßhenrich hat mit dem Autor über seinen Weg zurück ins Alltagsleben gesprochen und wie er sich mit seinem neuen Gesicht anfreundete.

rbb: Herr Groschupf, Sie haben einen schlimmen Unfall überlebt, aber im wahrsten Sinne des Wortes Ihr Gesicht verloren. Kann man das so sagen?

Johannes Groschupf: Ich habe ein anderes Gesicht. Es ist nicht mehr das, was ich vorher hatte. Ich sah mal richtig gut aus. Wenn ich jetzt auf frühere Fotos gucke, finde ich das beneidenswert. Aber ich habe Schwierigkeiten, zu sagen, ich hätte mein Gesicht verloren. Denn das ist etwas anderes. Wenn man sein Gesicht verliert, verliert man das Ansehen und stirbt sozusagen den sozialen Tod. Oder man verliert seine Ehre. Das Gefühl hatte ich nun nach dem Absturz ganz und gar nicht. Sondern ich wachte im Krankenhaus wieder auf und ich war noch am Leben – das war wirklich ein Wunder. Ich wollte auch am Leben bleiben. Aber ich wusste nicht, wie ich mit 80 Prozent verbrannter Haut und eben auch sehr stark verbranntem Gesicht, wieder ins Leben zurückkomme. Es dauerte sehr lange, bis ich mich getraut habe, die Ärzte nach einem Spiegel zu fragen. Die Besuche von Verwandten und Freunden waren die ersten Spiegel, die ich mir nahm, um zu schauen, wie sie auf mein Aussehen reagieren.

Sie haben also in dem Ausdruck Ihrer Angehörigen gesehen, wie Sie selber aussehen?

Ja, ich versuchte immer zu ermitteln, ob es einen Schreck gibt. Eine Jugendfreundin kam zu Besuch, sah mich an und stürzte weinend aus dem Zimmer. Das versprach nichts Gutes. Bei anderen merkte ich, dass sie das Entsetzen überspielten. Irgendwann kamen auch meine Kinder zu Besuch, und nach einer Weile war es völlig in Ordnung, wie sie mich angesehen haben. Ich selbst wusste im Krankenhausbett nicht, wie ich aussehe, ich wusste nur, dass es ziemlich schrecklich sein muss. Das Gesicht war damals noch verschorft, und ich hatte nicht nur Brandverletzungen, sondern auch richtige Beschädigungen durch den Aufprall und das Durchklettern der Cockpit-Kanzel. Es gab Verbände, die ich mit den Fingern ertasten konnte. Es war furchtbar.

In Ihrem autobiografischen Roman "Zu weit draußen" beschreiben Sie schonungslos Ihr Herantasten an das Leben nach dem Unfall, Ihren ersten Blick in den Spiegel. Waren Sie sich da selber fremd oder haben Sie sich erkannt?

Ich hatte ziemliche Angst. Ich hatte einen Arzt gefragt, ob er mir einen Spiegel bringt. Der ging raus und kam nicht wieder. Ich vermutete, dass er mir das nicht zumuten will. Ich brauchte noch einmal zwei Wochen, ehe ich einen neuen Anlauf nahm. Dann habe ich eine Krankenschwester gefragt. Sie hat mir einen Handspiegel gebracht und blieb auch im Zimmer, als ich mich betrachtete. Ich war sehr erschrocken darüber, welches Gesicht ich da gesehen habe. Damals war der Mund ein bisschen verzerrt – vermutlich durch die einsetzende Narbenbildung. An den Schläfen waren Eiterstellen. Es war wirklich schrecklich. Woran ich mich dann wirklich erkannt habe, waren meine Augen. Die waren – abgesehen von dem entsetzten Blick – meine Augen. Und dahinter war auch der Johannes, den ich von früher kannte. Der ich war, aber auch nicht mehr war. Es war tatsächlich ein sehr starker Einschnitt. Meine Güte, was ist das Gesicht! Es ist ja auch eine Fassade – und die war wirklich beschädigt. Aber durch diese Fassade hindurch gab es schon ein Wiedererkennen.

Sie hatten auch an fast allen anderen Stellen Ihres Körpers Verletzungen. Was ist an Verletzungen im Gesicht anders?

Das Gesicht hat sehr viel mit unserer Identität zu tun – auch gegenüber anderen Leuten. Es ist unsere Visitenkarte, der allererste Eindruck. Das Gesicht hat für uns schon eine unglaubliche Bedeutung, um jemanden zu begreifen. Wir schauen auch auf die Kleidung, den Gang, wir hören den Klang der Stimme – aber gerade in unserer visuellen Kultur ist das Gesicht eine starke Quelle von Informationen über einen Menschen, die wir in ihn hineinlesen. Wir können sein Alter sehen, seine Stimmung, fast seine Intelligenz. Das hat auch sehr stark mit den Augen zu tun. Sie sind das Fenster zur Seele, wie Plinius sagte. Deswegen sind Verletzungen im Gesicht sozial wirkliche Katastrophen.

Sie müssen nun mit solchen Verletzungen leben. Wie haben Sie sich mit Ihrem jetzigen Gesicht arrangiert?

Ich musste mich wieder anfreunden mit diesem Gesicht. Der Unfall ist jetzt über zwanzig Jahre her. Es hat sich normalisiert. Aber es ist nicht wieder ganz normal geworden. Es gab lange Wochen und Monate nach dem Krankenhausaufenthalt, in denen ich mich mit diesem Gesicht und der sonst verbrannten Haut auseinander setzen musste. Das ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit Leuten, die einem auf der Straße begegnen oder Freunden, die meinen, einen anderen Johannes Großschupf vor sich zu haben, sondern auch mit mir selbst. Ich schaue jeden Morgen in den Spiegel und muss mich damit irgendwie zurechtfinden. Ich hatte eine Zeitlang jeden Tag ein Selbstporträt vor dem Spiegel gezeichnet. Das hieß einfach, lange dorthin zu schauen. Beim Zeichnen verliert man die Wertung und geht nur nach dem, was man sieht.

Sie haben jetzt wieder einen Porträtkurs angefangen an der Volkshochschule. Was reizt sie daran?

Porträts zu zeichnen, ist wirklich schwierig, weil das Gesicht so unheimlich vielfältig ist. Das Schöne bei diesem Kurs ist, dass wir uns gegenseitig zeichnen. Damit einhergehen auch die Verabredung und das Einverständnis, das man sich sehr lange anschaut – was man ja im Alltag nicht macht. In diesem Kurs kann man die ganze Zeit die Stirn, die Wangenpartie – also den ganzen Eindruck – auf sich wirken lassen. Man verliert dabei einfach dieses wertende Sehen. Daraus wird ein sehr viel ruhigerer Blick, bei dem mir das andere Gesicht dann noch einmal ganz neu entgegenkommt.

Blicken Sie jetzt anders auf die Gesichter anderer Menschen, auch auf Schönheit?

Ich reagiere sehr stark auf Schönheit. Das war früher so und ist jetzt immer noch so. Ich finde, schöne Frauen sind eine Freude, auch schöne Männer und Kinder. Schönheit hat etwas, was das Leben wirklich reicher macht. Aber durch den Zeichenkurs freue ich mich auch an der Vielfalt der Gesichter. Es gibt auch hässliche Gesichter, die einfach interessant sind – während mit Schönheit auch immer ein Versprechen von Glück einhergeht. Bei solchen Schicksals-Gesichtern, die vielleicht auch hässlich genannt werden, ist das Erschrecken möglich, was das Leben mit einem anstellen kann. Das trifft, glaube ich, auch zu, wenn man mich anschaut. Das ist dann eine Erinnerung daran, dass einem Furchtbares widerfahren kann.

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