#dasbrauchtdeutschland - Wagenknecht und Bartsch - um Harmonie bemüht

Die Linke setzt im Wahlkampf auf Altbewährtes. "Sozial. Gerecht. Frieden" - so lautet der Slogan der Partei. An der Spitze zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein können: Der eher verbindliche Dietmar Bartsch und die oft polarisierende Sahra Wagenknecht. Das Zweckbündnis scheint zu funktionieren. Von Frank Aischmann

Hamburg-Hauptbahnhof - viel zentraler kann man einen Wahlkampf gar nicht führen. Gleich rechts vom Haupteingang, direkt neben dem Taxistand, etwa 1.500 Menschen dichtgedrängt vor einer Bühne mit Linken-Logo vor rotem Hintergrund. Beide Spitzenkandidaten sind heute da, eng getaktet und angereist von früheren Tages-Terminen, Sahra Wagenknecht mit dem Flugzeug, Dietmar Bartsch mit dem Auto, und er redet zuerst. Stichwort Bahnhof und Bundes-Politik: "Es muss einen Wechsel geben, wo nicht nur der Zugführer ausgewechselt, sondern der Zug auf ein anderes Gleis gesetzt wird. Das ist notwendig. Dies ist nicht das Land der Winterkorns und Klattens und von Merkel. Das ist auch das Land von uns, meine Damen und Herren!"

Das sind Formulierungen, die man häufiger hört, wenn man Dietmar Bartsch unterwegs auf Wahlkampf-Tour erlebt: "Ja natürlich hat man eine Standardrede und mein Fahrer könnte die in der Substanz inzwischen auch halten."

Eine Rede für den Osten - eine für den Westen

Wobei es eigentlich zwei Reden sind - eine für das Stammpublikum im Osten und die modifizierte Variante für den Westen des Landes: "Weil ich glaube, in Hamburg interessiert die Angleichung der Rentenwerte nicht so sonderlich. Aber in den neuen Ländern wäre man enttäuscht, wenn ich dazu nichts sagen würde. Es ist unsere besondere Verantwortung. Und natürlich erwähne ich in Hamburg auch Herrn Dobrindt nicht so ausführlich, wie ich das in Bayern machen werde."

Was die Frage stellt - warum eigentlich abhetzen von Ort zu Ort und die immer gleichen Partei-Werbeveranstaltungen abspulen im Zeitalter des Internets, in dem sich doch jede Menge gesprochenes Wort findet. Vom Spitzenkandidaten und bei Bedarf auch  Wahlkampfmaterial ohne Ende: "Wir haben immer auch Live-Übertragungen im Netz und als Sahra Wagenknecht und ich gemeinsam in Rostock aufgetreten sind, waren 17.000 Leute im Netz dabei, die das da gesehen haben. Dann gibt es eine mediale Begleitung und wir können hoffentlich auch die Aktivisten, die Leute, die sich engagieren, motivieren."

Rote Linken-Fahnen im Publikum, am Rand Wahlkampfstände mit Parteiprogrammen, Kugelschreibern und natürlich Faltblätter, auf denen sich die Spitzenkandidaten vorstellen - der Sahra Wagenknecht-Stapel ist deutlich stärker nachgefragt als der von Dietmar Bartsch, der für seine Rede freundlichen Applaus erhält und an Wagenknecht übergibt:

"Wir brauchen ein wirklich überraschend starkes Ergebnis für die Linken auch deshalb, damit sich die SPD und deren Spitze es sich nicht traut, nach der Wahl in die nächste grosse Koalition zu verschwinden. Das wäre doch ein Skandal, das wäre das letzte, was wir brauchen in diesem Land!"

Pflichtprogramm: Soziales, Krieg und Frieden

Eine klassische halbstündige Wagenknecht-Rede ist in neun Sekunden erzählt - von ihr selbst: "Der soziale Bereich, aber natürlich auch Krieg und Frieden, Abrüstung, auch im Kontext des Sozialen, weil Geld, dass man für Krieg verschleudert, kann man nicht mehr für das Soziale ausgeben."

Eine Sicht, die jedenfalls auf dem Bahnhofsvorplatz von Hamburg gut ankommt – eine Frau ist mit einer blauen Flagge gekommen, darauf die stilisierte weisse Friedenstaube: "Die Linke ist die einzige Partei, die sich zu 100% für Frieden ausspricht, gegen Waffenlieferungen und gegen Soldatenverschickungen in alle Welt."

Wer so denkt, den muss man doch eigentlich nicht mehr überzeugen. Nur: Bekommen Politiker eigentlich mit, wie ihre Worte wirken bei einer Wahlkampf-Rede? Aber ja, sagt Sahra Wagenknecht: "Das sieht man doch. Manche Leute klatschen begeistert von vorneherein, das sind sicher unsere Unterstützer. Andere schauen sehr skeptisch, einige klatschen nur bei wenigen Dingen, das nimmt man schon wahr, denn ich schaue doch in die Gesichter, wenn ich rede. Und darum: Nur ein Wahlkampf über das Netz, aus der Ferne würde nicht funktionieren. Die Leute wollen einen auch mal lebendig sehen."

"Lassen wir uns überraschen!"

Störer gibt es nicht in Hamburg, eher im Gegenteil: Nachdem sie von der Bühne geklettert ist, wartet auf Sahra Wagenknecht das harte Los aller Prominenten: Autogramme geben, Bücher signieren, vor allem aber: Selfies, Selfies, Selfies, was die als stets kontrolliert und eher unnahbar geltende Spitzenkandidatin erstaunlich geduldig hinter sich bringt: "Naja gut, das ist ja eine Anerkennung meiner Arbeit. Ich freue mich, wenn Leute kommen und ich positive Rückmeldungen erhalte. Und Selfies gehören heute nun mal einfach dazu."

Mag sein, aber was letztlich zählt am Ende des Pflichtprogramms wochenlanger Wahlkampftouren durchs Land, das ist das Stimmverhalten am 24. September. Prognose der Linken-Spitzenkandidaten Wagenknecht und Bartsch: "Lassen wir uns überraschen. Ich glaube, die wenigsten rechnen damit, dass Frau Merkel abgewählt wird. Was allerdings auch traurig ist, weil das sehr viel Spannung aus dem Wahlkampf rausnimmt. Aber ich denke, für uns ist nach oben sehr viel Luft, und das sage ich nicht nur, weil das alle Parteien so sagen." - "Also ich gehe davon aus, dass am 24. September ein für viele überraschendes Ergebnis da sein wird."

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