Sorgenkind Nahverkehr - Wie attraktiv sind Bus und Bahn?

Der ÖPNV in der Hauptstadt bietet manchen Anlass zur Kritik: Überfüllte U-Bahnen, ausfallende S-Bahnen, schmuddelige Bahnhöfe und unfreundliches Personal. Inforadio-Hörerin Yvonne Schmitt hat darüber mit Klaus Lederer von der Linkspartei diskutiert.

Ohne BVG und Bahn wären wir in der Hauptstadtregion aufgeschmissen. Umso ärgerlicher, wenn ständig Sand im Getriebe des öffentlichen Personennahverkehrs ist. Und da gibt es tatsächlich einiges zu beklagen: Angefangen bei den häufig ausfallenden S-Bahnen (allein von Januar bis Oktober 2015 waren es 47.564 planmäßige S-Bahn-Fahrten, die nicht stattfanden), den vollgestopften U-Bahnen zu Stoßzeiten, den teilweise enorm schmuddeligen Bahnhöfen, von denen noch immer zu viele über keinen Aufzug verfügen, bis hin zu mangelnder Freundlichkeit des Personals und fragwürdiger Preispolitik.  

Auch unsere Hörerin Yvonne Schmitt würde eigentlich gerne ihr Auto abschaffen und viel öfter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Doch im Moment ist ihr dafür noch zu viel "Luft nach oben" bei BVG und Bahn. Auch sie wird oft Opfer von ausfallenden Bahnen, nicht funktionierenden Aufzügen und fühlt sich gestört von schmuddeligen Bahnhöfen, wie dem an der Yorckstraße. Sie meint: Es muss richtig Geld in die Hand genommen und in den ÖPNV investiert werden.

Fahrgastverband: Entspannung nicht vor 2023

Eine Aussage, bei der ihr Klaus Lederer von der Berliner Linken, der an dem Morgen ihr Diskussionspartner ist, prinzipiell zustimmt. Er weist darauf hin, dass es sich beim Betreiber der S-Bahn, der Deutschen Bahn, um ein Bundesunternehmen handelt und wünscht sich, dass die Fahrzeugbeschaffung künftig im Land organisiert würde – nach dem Beispiel der BVG: "Hier hat man ein Beschaffungsunternehmen gegründet, das mit entsprechendem Kapital ausgestattet worden ist, um auch regelmäßig neue Züge zu beschaffen und nicht immer dann, wenn wie bei der S-Bahn, wo die Deutsche Bahn auf Börsengang getrimmt worden ist, wenn es dann an allen Ecken und Enden kracht und knallt."

Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband steht ebenfalls mit am Diskussionstisch. Er sieht gleich mehrere Probleme: "Es knirscht zum Beispiel bei der S-Bahn daran, dass die Infrastruktur in einem relativ schlechten Zustand ist. Und es gibt zu wenig Fahrzeuge, da muss nachgesteuert werden. Bei der S-Bahn wird das noch bis 2023/24 dauern, bis wir da eine echte Entspannung haben werden – und bei der U-Bahn ist die Entspannung noch gar nicht absehbar."

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Fahrgastsperren oder Bürgerbeitrag?

Also sind sich alle einig: Es muss investiert werden. Doch wo soll das Geld herkommen? Inforadio-Hörerin Yvonne Schmitt hat ein paar Vorschläge: "Warum kann man nicht so Fahrgastsperren einrichten wie in London oder in Paris, um Gelder zu generieren?" Linken-Politiker Lederer spricht sich dagegen aus: "Die Fahrgastsperren haben einfach das Problem, dass sie tatsächlich einen Haufen Geld kosten und wahrscheinlich am Ende die Investitionen teurer sind als das, was wir zusätzlich reinholen."

Seine Idee ist eine andere: Der Fahrgastbeitrag. "Das hieße dann: Alle zahlen, vermutlich sozial gestaffelt, einen Festbetrag, egal, ob sie Auto fahren oder was auch immer sie tun. Der wird dann deutlich günstiger als die bisherigen Monatstickets. Die Unternehmen zahlen auch mit zu und unterm Strich finanzieren wir damit den kompletten Berliner Nahverkehr, mit Bundeszuschüssen, mit Landeszuschüssen, und haben dann einen fahrscheinlosen, aber keinen kostenfreien Nahverkehr." Damit will Lederer dann bis zum Jahr 2030 einen öffentlichen Nahverkehr mit höheren Taktfrequenzen, ausgebauten Straßenbahnen und mit Komplettanschluss des äußeren Stadtbereichs erreichen.

"Der nächste Winter kommt bestimmt"

Inforadio-Hörerin Yvonne Schmitt zieht ein gemischtes Fazit der Debatte: "Mir fehlt der Glaube, dass dieser Bürgerbeitrag tatsächlich von jedem Unternehmen und jedem Bürger, der den ÖPNV nicht nutzt, erhoben werden kann. Ich glaube nicht, dass das durchsetzbar ist. Deswegen müsste auch ein Plan B in der Schublade sein. Zumindest muss eine solide Finanzierung als Dauerthema auf der Agenda stehen – denn der nächste Winter kommt bestimmt."

Hintergrund: Zahlen und Fakten zum Berliner ÖPNV

Jährlich nutzen 937 Mio. Fahrgäste die Berliner Verkehrsbetriebe BVG und 395 Mio. Fahrgäste die S-Bahn.

Regionalbahn, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn und Bus haben eine Netzlänge von rund 1.900 km – das entspricht in etwa der Entfernung Berlin-Moskau.

An über 3.100 Haltestellen können die Menschen ein- und aussteigen.

Das Land Berlin zahlt jährlich ca. 290 Mio € für den Betrieb von U-Bahnen, Straßenbahnen, Bussen und Fähren sowie für die Unterhaltung der Infrastruktur.

Rund 27 % aller Wege werden in Berlin mit öffentlichen Verkehrsmittel zurückgelegt.

Von Januar bis Oktober 2015 summieren sich die Verspätungen bei BVG und S-Bahn auf 240.077 Minuten.

Bei der Berliner S-Bahn fanden von Januar bis Oktober 47.564 planmäßige Fahrten nicht statt.

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