Depression mag ein Modewort geworden sein. Medizinisch zählt die psychische Erkrankung zu den am meisten unterschätzten Leiden. Der Weltgesundheitstag am 7. April wirft ein Schlaglicht auf eine versteckte Volkskrankheit. Wir fassen die wichtigsten Zahlen, Fakten und Hintergründe zusammen.
Anlässlich des Gründungsdatums der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1948 findet jährlich am 7. April der Weltgesundheitstag statt. Das Thema für 2017 lautet "Depression - Let’s talk". Hier geht es direkt zur Seite des Weltgesundheitstags.
Depressive Störungen zählen nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit mit Blick auf ihre Schwere zu den am meisten unterschätzten Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass weltweit mehr als 300 Millionen Menschen mit einer Depressionen leben - das bedeute einen Anstieg der Diagnosen um 18 Prozent zwischen 2005 und 2015. 2020 könnten Depressionen bereits die zweithäufigste Volkskrankheit sein. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens daran zu erkranken, wird auf 11 bis 15 Prozent geschätzt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, suchen aber in der Regel schneller Hilfe.
Wird eine depressive Erkrankung früh erkannt, ist sie meist gut behandelbar. Dabei gibt es sowohl psychotherapeutische als auch medikamentöse Therapien. Die WHO sieht allerdings einen Mangel an Unterstützung für psychisch kranke Menschen, gekoppelt mit dem Stigma, das Betroffene fürchten. Deshalb erhielten sogar in Industrienationen nur rund die Hälfte von ihnen Hilfe.
Hintergrund
Krankheitsbild, Formen der Depression und Symptome
Depressive Erkrankungen verlaufen meist in Phasen, die über mehrere Monate, bei einigen Patienten auch über Jahre anhalten können.
(Quelle: Deutsche Depressionshilfe)
Formen der Depression
Unipolare Depression
Die meisten Menschen, die an einer Depression erkranken, erleiden in ihrem Leben mehr als eine depressive Episode. Derartige Episoden dauern unter Umständen Wochen, manchmal auch Monate, insbesondere dann, wenn die Patienten nicht konsequent behandelt werden. Treten nur depressive Episoden auf, so spricht man von einer unipolaren Depression.
Bipolare affektive Störung
Manche Patienten erleiden nicht nur depressive, sondern auch manische Episoden. Manische Episoden sind gekennzeichnet durch einen unbändigen Tatendrang, meist gehobene Stimmung, fehlendes Schlafbedürfnis, Größenideen, häufig auch durch Kaufrausch. In diesen Fällen spricht man von einer bipolaren affektiven Störung.
Dysthymie
Manche Patienten leiden an einer meist leichter ausgeprägten, aber dafür chronisch verlaufenden Form der Depression, genannt Dysthymie. Diese beginnt meist im frühen Erwachsenenalter.
Depressive Episoden im Rahmen unipolarer und bipolarer affektiver Störungen sowie Dysthymie gehören zu den wichtigsten Depressions-Diagnosen. Depressive Erkrankungen können jedoch auch im Rahmen körperlicher Erkrankungen, z. B. von Schilddrüsenfunktionsstörungen, oder in Verbindung mit bestimmten Medikamenten, z.B. hochdosierter Cortisonbehandlung, auftreten.
Symptome
Verändertes Erleben
Die Patienten berichten über verändertes Erleben. Gefühle der Hoffnungslosigkeit dominieren: Hilflosigkeit, innere Leere, Schuld und Angst, Verzweiflung und Trauer, aber auch die Unfähigkeit, überhaupt noch Gefühle empfinden zu können ("Ich bin wie versteinert").
Negative Denkmuster herrschen vor. Depressiv Erkrankte entwickeln in vielen Fällen eine pessimistische Einstellung gegenüber sich selbst, den eigenen Fähigkeiten, dem eigenen Aussehen und der Zukunft, verbunden mit starker Grübelneigung. Permanente Selbstkritik, Konzentrationsprobleme und Suizidgedanken sind häufig.
Manche Patienten entwickeln auch Wahnvorstellungen, z.B. die Überzeugung unheilbar erkrankt zu sein, oder sich und die Familie finanziell ruiniert zu haben. Die Betroffenen sind nur schwer davon zu überzeugen, dass sie eine Krankheitsepisode durchleben, die in den meisten Fällen gut zu behandeln ist.
Verändertes Verhalten
Die Patienten vermeiden soziale Kontakte, stellen Hobbys ein, können ihre Arbeit nicht mehr bewältigen und ziehen sich ins Bett zurück. Die Mimik und Gestik ist bei vielen Patienten wie erstarrt, die Stimme leise und monoton. Einige Patienten laufen rastlos, verzweifelt und wie getrieben hin und her (agitierte Depression).
Körperliche Beschwerden
Schlaflosigkeit mit Früherwachen, Appetitstörung mit Gewichtsverlust, Libidoverlust, schnelle Ermüdung, multiple körperliche Beschwerden und oft auch Schmerzen gehören zu den vielfältigen körperlichen Begleiterscheinungen einer depressiven Störung.
Wann muss man sich Hilfe holen?
Viele Betroffene klagen anfangs über Leistungsabfall, Appetitverlust und Schlafstörungen. Hinzu kommen Freude- und Interessenverlust, Lustlosigkeit, Entscheidungsunfähigkeit und oft auch ein Rückzug aus dem sozialen Leben. Manche Betroffene empfinden Gleichgültigkeit, andere tiefe Traurigkeit. Viele fühlen sich innerlich unruhig und getrieben und leiden unter Ängsten und Hoffnungslosigkeit. Zu dem beklemmenden Gefühl der Erschöpfung kommen häufig Schuldgefühle und Selbstvorwürfe. Bei schweren Depressionen können die Erkrankten keine Gefühle mehr wahrnehmen und wirken wie versteinert.
Als behandlungsbedürftig gilt eine Depression, wenn Menschen sich gravierend und über einen langen Zeitraum verändern. Zu den gesellschaftlichen Folgen zählen lange Abwesenheit am Arbeitsplatz, Frühverentnung - und Suizid. Weltweit schätzt die WHO die Zahl der Selbstmorde aufgrund einer unbehandelten Depression auf rund 800 000 im Jahr.
Infobox: betroffene in Deutschland
Im Laufe eines Jahres erkranken nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe mehr als 5,3 Millionen Bundesbürger daran. Depressionen seien auch die häufigste Ursache der jährlich rund 10 000 Suizide in Deutschland. Nach einer Analyse des Robert Koch-Instituts (RKI) zählen Depressionen zu den häufigsten psychischen Leiden in Deutschland. Sie machten weder Halt vor dem Alter noch vor dem sozialen Status.
Seit 1. April: Verbesserungen für Betroffene
Auf der Suche nach einem Psychotherapeuten werden Betroffene allzu oft am Telefon vom Anrufbeantworter abgespeist - auch in dringenden Fällen, in denen sich der Patient mit Tötungsgedanken quält. Hat man endlich einen Therapeuten erreicht, wartet man erneut häufig monatelang auf einen Behandlungstermin. Seit dem 1. April wird nun das Leistungsangebot für psychisch Kranke deutlich verbessert:
Fragen und Antworten
Was ändert sich für Patienten?
Kern der geänderten Psychotherapierichtlinie ist die Einführung einer Sprechstunde. Psychotherapeuten müssen demnach pro Woche mindestens zwei Stunden (4 Einheiten zu je 25 Minuten plus Pause) für Sprechstunden zur Verfügung stehen. Für eine Sprechstunde können Termine vereinbart werden. Sie kann aber auch als offene Sprechstunde ohne Terminabsprache angeboten werden. Erwachsene können bis zu sechsmal 25-minütige Sprechstunden-Termine bekommen, Kinder und Jugendliche bis zu zehnmal.
Was verbessert sich noch?
Psychotherapeutische Praxen müssen mindestens 200 Minuten in der Woche telefonisch erreichbar sein. Auch diese Zeit muss in Einheiten von mindestens 25 Minuten angeboten werden. Der Psychotherapeut muss diesen "Telefondienst" nicht persönlich leisten, sondern kann dafür auch Praxispersonal oder einen Dienstleister einsetzen. Im Prinzip kann am Telefon ein Termin für ein erstes Gespräch vereinbart werden. Möglicherweise kann hier auch schon eine gewisse Dringlichkeit für einen Sprechstundentermin festgestellt werden.
Wie ist mit einem Notfall umzugehen?
In der Sprechstunde kann geklärt werden, ob in solchen dringenden Fällen eine sogenannte Akutbehandlung erforderlich ist. In diesem Fall kann ohne langes Antragsverfahren mit der Krankenkasse rasch eine Behandlung des Patienten begonnen werden. Sie kann bis zu 24-mal in Einheiten von 25-minütigen Einzelbehandlungen erfolgen. Mit einer Akutbehandlung soll verhindert werden, dass die psychische Erkrankung chronisch wird. Patienten sollen also kurzfristig stabilisiert werden.
Und wenn es dann immer noch keinen Termin beim Therapeuten gibt?
Dann gibt es noch seit gut einem Jahr die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die müssen vom 1. April an auch Termine in der psychotherapeutischen Sprechstunde vermitteln. Für die Vermittlung eines Sprechstundentermins ist keine Überweisung nötig. Wie bei anderen Fachärzten gilt auch hier: Der Termin muss innerhalb einer Woche vermittelt werden und darf nicht später als vier Wochen nach der Anfrage liegen. Klappt dies nicht, kann der Patient in die Ambulanz eines Krankenhauses gehen.
Was geschieht in der Sprechstunde?
Die Patienten können rasch erfahren, ob sie krank sind, ob sie eine Behandlung brauchen oder ob sie nur eine Krise haben, die auch anderweitig bewältigt werden kann - etwa durch Hilfsangebote, die nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, wie Selbsthilfe oder (Ehe-)Beratungsstellen.
Gibt es für dieses erweiterte Angebot mehr Psychotherapeutenpraxen?
Nach dem Gesundheitsreport 2017 der Techniker Krankenkasse stagniert der Anteil psychisch bedingter Fehlzeiten zur Zeit zwar. Im Schnitt entfallen 2,7 Fehltage je Erwerbsperson auf psychische Störungen. Aber im Jahr 2006 waren es noch 1,4 Fehltage. Dies entspricht einem Anstieg von 86 Prozent in zehn Jahren. Die Bundespsychotherapeutenkammer beklagt denn auch, es gebe mehr Bedarf als Praxen, und fordert endlich eine angemessene Bedarfsplanung in der Psychotherapie.
Kostet das erweiterte Angebot mehr?
Ja, sicher. Aber wie viel, darüber streiten Ärzteschaft und Krankenkassen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) argumentiert, die erweiterten Leistungen führten zu Mehreinnahmen der Psychotherapeuten von etwa 100 Millionen Euro. Im Übrigen sei bei durchschnittlich 23 durchgeführten Therapiestunden pro Psychotherapeut pro Woche "noch Luft nach oben". Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hält entgegen, das sei für diesen Mehraufwand zu wenig.