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JüL, MSA & Co. - Wie geht Schule in Berlin?

Ein Überblick der wichtigsten Stichpunkte und Begriffe zum Thema Schulreform in Berlin, zusammengestellt von Sonja Lüning und Christoph Henkel.

Die drei letzten Jahre vor der Einschulung sind in Berliner Kitas (Kindertagesstätten) seit 2011 kostenlos. 95% aller Drei- bis Sechsjährigen werden hier betreut. Das Jugendamt ermittelt je nach Familien- und Arbeitssituation den Bedarf und erstellt die "Kita-Card“. Mit dieser Bescheinigung können sich Eltern in ganz Berlin um einen Betreuungsplatz bewerben. Zudem hat ab dem 1. August 2013 jedes Kind unter drei Jahren Anspruch auf einen Krippenplatz.

Das seit 2008 geltende "Gesetz zur vorschulischen Sprachförderung“ schreibt zudem vor, dass bei allen Kindern ein Jahr vor der Einschulung überprüft werden muss, ob sie altersgerecht sprechen können. Für Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, findet dieser Sprachtest automatisch in der Kita statt. Wird festgestellt, dass eine verstärkte Sprachförderung nötig ist, entscheidet die jeweilige Kindertageseinrichtung, wie die Förderung organisatorisch und inhaltlich gestaltet wird. Berlinweit verbindlich geltende Sprachbildungskonzepte gibt es nicht.

Zwei Drittel aller Kitas werden von freien Trägern betrieben. Die landeseigenen Kitas wurden in fünf Eigenbetrieben zusammengefasst.

Mehr Grundschüler bei insgesamt rückläufigen Schülerzahlen.

Der Start: Die Grundschulen

Die Grundschule in Berlin dauert sechs Jahre. Schrittweise wurden die Grundschulen in den letzten Jahren zu Ganztagsschulen ausgebaut. Zunächst wurde in der Hauptstadt flächendeckend die sogenannte verlässliche Halbtagsgrundschule eingeführt: Alle Grundschüler werden in der Zeit von 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr betreut. Mittlerweile ist in Berlin jede Grundschule eine Ganztagsschule. Mehr als 80% sind offene, die übrigen gebundene Ganztagsschulen.
Die offene Ganztagsgrundschule betreut Kinder zuverlässig zwischen 7.30 und 13.30 Uhr. Sie arbeitet mit externen Einrichtungen zusammen und bietet somit zusätzlich Früh- und Spätbetreuung sowie Nachmittagsakitvitäten an – die so genannte Hortbetreuung. Seit diesem Jahr gilt dieses Angebot für alle Grundschulkinder (davor bekamen Kinder der 5. und 6. Klassen nur bei besonderem Bedarf einen Hortplatz). Eltern, die dieses zusätzliche Betreuungsangebot nutzen, müssen dafür zahlen.
In gebundenen Ganztagsgrundschulen ist der Besuch zwischen 8 und 16 Uhr für die Schüler verpflichtend. Das Angebot setzt sich aus Unterricht, Erziehung, besonderer Förderung und Betreuung zusammen. Die Eltern zahlen nur das Mittagessen – nicht das Betreuungsangebot.

Reformen an der Grundschule im Überblick:

* Jahrgangsübergreifendes Lernen (JüL)
Das sogenannte jahrgangsübergreifende Lernen (JüL) wurde ab 2004 an Berliner Grundschulen eingeführt. Dabei lernen Kinder aus den ersten zwei oder drei Klassenstufen zusammen. In gemischten Lerngruppen sollen die Schüler entsprechend ihres Leistungsniveaus gefördert werden. Nicht in allen Schulen funktioniert das. Deshalb können Schulen inzwischen wieder selbst entscheiden, ob sie die ersten zwei bzw. drei Klassen mischen oder getrennt unterrichten wollen.

* Flexible Schulanfangsphase (Saph)
In der Grundschule soll niemand mehr "sitzenbleiben“. Schüler, die sich anfangs schwer tun, können in den so genannten JüL-Klassen ein Jahr länger in der neu eingerichteten flexiblen Schulanfangsphase (Saph) verweilen. So können sie in ihren Gruppen bleiben und müssen sich nicht (wie früher beim Sitzenbleiben) an eine neue Klasse gewöhnen. Auch für Schnell-Lerner ist dieses Angebot attraktiv: "Saph“ macht es ihnen leichter, ein Jahr zu überspringen.

* Frühere Einschulung

Erstklässler werden seit der Reform 2005 früher eingeschult. Die damalige rot-rote Landesregierung zog den Stichtag der Einschulung vom 30. Juni auf den 31. Dezember vor. Das bedeutet, dass die Kinder bei ihrer Einschulung zwischen fünfeinhalb und sechseinhalb Jahre alt sind. Im Zuge dieser Grundschulreform wurden die Vorklassen abgeschafft.
Berlin ist trauriger Spitzenreiter bei den Schulabrechern ohne Hauptschulabschluss, entsprechend hoch auch die Jugendarbeitslosigkeit.

Auf dem Weg zum Beruf: Die weiterführende Schulen

In Berlin gibt es seit 2010 zwei weiterführende Schularten: die Integrierte Sekundarschule (ISS) und das Gymnasium. Derzeit probt Berlin in einem Pilotprojekt außerdem das Modell der Gemeinschaftsschule.

Reformen an den weiterführenden Schulen im Überblick:

* Integrierte Sekundarschule (ISS)
In der ISS wurden Haupt- und Realschule zusammengefasst. Schüler können dort alle Abschlüsse erwerben – auch das Abitur: in der Regel nach 13 Jahren, möglich ist dies aber auch schon nach Klasse 12. Die ISS haben entweder eine eigene gymnasiale Oberstufe oder kooperieren mit anderen Schulen bzw. Oberstufenzentren. Die Integrierte Sekundarschule soll für Chancengleichheit sorgen und das Schulsystem durchlässiger machen. Alle Sekundarschulen sind Ganztagsschulen, die Klassengröße liegt bei höchstens 26 Schülern. An den Sekundarschulen wurde das Sitzenbleiben abgeschafft, auch eine Probezeit gibt es nicht.

* Gemeinschaftsschulen
In der sogenannten Gemeinschaftsschule werden Kinder von der ersten Klasse bis zum Abschluss gemeinsam unterrichtet. Die rot-rote Landesregierung führte sie 2008 als Pilotprojekt ein. Mittlerweile gibt es in Berlin 25 Gemeinschaftsschulen. Das Pilotprojekt wird wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse werden derzeit evaluiert. Noch ist unklar, ob die Gemeinschaftsschulen in Berlin weiter ausgebaut werden.

* G8
Die Verkürzung der Schulzeit von insgesamt 13 auf 12 Jahre an Gymnasien (achtjähriges Gymnasium = G8) wurde mittlerweile in fast allen Bundesländern eingeführt – mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz. In Berlin spricht man nicht von G8, sondern von G6, da hier das Gymnasium erst nach der sechsjährigen Grundschule, also ab der siebten Klasse beginnt. 2012 legte der erste Jahrgang in Berlin das Abitur nach 12 Jahren ab.

* Mittlerer Schulabschluss (MSA)
Der Realschulabschluss heißt jetzt Mittlerer Schulabschluss (MSA). Seit dem Schuljahr 2005/06 müssen alle Zehntklässler in Berlin (auch Gymnasiasten) die einheitlichen MSA-Prüfungen ablegen. Vor der Reform erwarben Gymnasiasten den Realschulabschluss automatisch mit dem Bestehen der zehnten Klasse.

* Berufsbildungsreife (BB) und erweiterte Berufsbildungsreife (eBB)
An den Sekundarschulen gibt es neue Bezeichnungen für die Hauptschulabschlüsse. Berufsbildungsreife (BB) nennt sich der Abschluss, den Schüler nach der neunten Klasse bekommen können. Der frühere erweiterte Hauptschulabschluss nach der zehnten Klasse heißt jetzt erweiterte Berufsbildungsreife (eBB). Neu ist auch, dass die erweiterte Berufsbildungsreife durch eine Abschlussprüfung erlangt wird. Vor der Reform erwarben Hauptschüler den erweiterten Abschluss automatisch mit dem Bestehen der zehnten Klasse.

* Aufnahmeverfahren
Seit 2011 gibt es an den weiterführenden Schulen in Berlin ein neues Aufnahmeverfahren. Die Schulen dürfen 60 % ihrer Bewerber selber aussuchen – ausschlaggebend ist meist der Notenschnitt aus der Grundschule. 30 % der Plätze werden gelost, 10 % vergeben die Schulen an Härtefälle. In Berlin dürfen die Eltern entscheiden, ob ihr Kind das Gymnasium besucht oder die Sekundarschule. In anderen Bundesländern zählt allein die Empfehlung durch die Grundschule. An den Berliner Gymnasien wurde das Probehalbjahr in der siebten Klasse zudem auf das ganze Schuljahr ausgedehnt. Wer danach nicht versetzt wird, muss auf eine Sekundarschule wechseln.

Der Test: VERA

Wie sieht es aus mit den Mathe- und Deutschkenntnissen der Dritt- und Achtklässler?
VERA steht für VERgleichsArbeiten. Diese finden in fast allen Bundesländern statt und werden nicht benotet. Seit dem Schuljahr 2007/2008 schreiben Schüler der dritten Klassen Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathe (VERA 3). Mit dem Schuljahr 2008/2009 startete VERA 8. Die Schüler der achten Klasse werden in Deutsch, Mathe und der ersten Fremdsprache (Englisch oder Französisch) geprüft. Ziel der Arbeiten ist eine Verbesserung der Lehre an den Schulen. Die Daten sollen nicht für einen Leistungsvergleich der Bundesländer herangezogen werden.

Die Schule für alle: Inklusion

Eine Schule für alle. Die Vereinten Nationen beschlossen 2006 ein Abkommen, wonach alle Schüler – mit und ohne Behinderungen – das Recht auf gemeinsamen Unterricht haben. Deutschland hat die Konvention 2009 unterschrieben. Zurzeit lernen in Berlin über 40 Prozent der Förderschüler an Regelschulen. Bundesweit liegt der Durchschnitt bei rund 20 Prozent. In der Hauptstadt werden die reinen Förderschulen seit 2005 schrittweise abgebaut. 2011 beschloss der Senat das Konzept "Inklusive Schule in Berlin“. Danach soll bis 2017 die "inklusive Schule“ in Berlin der Normalfall werden. Pro Bezirk soll eine Förderschule als Förderzentrum bestehen bleiben. So haben Eltern weiterhin die Wahl, ob sie ihr Kind an eine Regel- oder Förderschule schicken. Ein Beirat, bestehend aus Schulleitern, Stadträten, Wissenschaftlern und Gremienvertretern gibt im Frühjahr 2013 eine Empfehlung zur Umsetzung des Konzepts ab.
Durchschnittalter Grundschullehrerinnen (Bild: Inforadio/Henkel)
Hohes Durchschnittalter bei den Berliner Lehrerinnen.

Die Lehrer: Ausbildung in Berlin

Für die Ausbildung von Lehrern sind die einzelnen Bundesländer zuständig. Wer in Berlin Lehrer werden will, studiert zunächst an der Universität zwei Unterrichtsfächer und absolviert anschließend einen zweijährigen Vorbereitungsdienst in der Schule. Während des Studiums lernen die Studenten den Berufsalltag zwar kennen, aber erst nach einigen Semestern. Diese Praktika dauern zudem nur wenige Wochen. Kritiker fordern deshalb eine praxisnahe Lehrerausbildung. Die rot-schwarze Landesregierung kündigte bereits Reformen an. Diskutiert wird beispielsweise die Einführung eines Praxissemesters während des Studiums.

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Ein Mädchen vor einer roten Ampel (Bild: dpa - Montage: rbb)
(Bild: dpa - Montage: rbb)

Wenn die Zukunft sitzen bleibt - Generation Schlusslicht

Noch immer hinken die Schüler in Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern oft ein bis zwei Jahre hinterher. Und das trotz aller Reformen, die es in den letzten Jahren gab. Das Schulsystem probiert sich weiter aus. Eine Bestandaufnahme im Inforadio.