Porträt von Mahmoud [Rehkopf/rbb]

Nahaufnahme vom 29.04.2011 - Sekundarschule: Zuhause bei Mahmoud

Einmal im Monat geht Inforadio in die Schule. Wir berichten dann aus der Klasse 7d der Röntgenschule darüber, wie Eltern und Lehrer das erste Jahr in der Sekundarschule erleben. Heute machen wir einen Hausbesuch - denn es sind Osterferien.

Vierter Stock - Neubauwohnung in Neukölln. Mahmouds Mutter Sandra empfängt mich im Wohnzimmer der Familie: Erst kürzlich haben sie es renoviert, erzählt sie ein bisschen verlegen, aber ganz zufrieden: an zwei Wänden kleben violette Tapeten mit Goldmuster, ihre Lieblingsfarben. Die dritte Wand, dem Fenster gegenüber, ist im selben Violett-Ton gestrichen - dort hängt in der Mitte der große Flachbildfernseher. In der Ecke zwitschert ein Vogel in seinem Käfig. (unterblenden)

Apfelsaft und Wasser stehen bereit auf dem Couchtisch vor den schwarzen Ledersofas. Nach und nach trauen sich auch Mahmouds Schwestern ins Zimmer, fünf sind es insgesamt: die jüngste ist erst 5, die älteste 14. In den Osterferien bleiben sie meistens in Berlin, erfahre ich, aber im Sommer, dann geht es häufig in die Heimat ihres Mannes, sagt Sandra. S i e ist 33, kommt aus Berlin. Für die Heirat ist zum Islam übergetreten und trägt ganz selbstverständlich ein Kopftuch.

Mutter Sandra

Wir verreisen mit Sack und Pack in den Sommerferien oft in den Libanon mit dem Auto. Wir haben einen kleinen Familienbus. Wir fahren so drei bis vier Tage bis in den Libanon. Durch verschiedene Länder. Man hat die Möglichkeit über Italien zu fahren. Mit der Fähre nach Griechenland und die zweite Möglichkeit über Ungarn, Rumänien, über Bulgarien, Türkei. Ist ne ganz andere Richtung, aber man kommt auch an. Ist ein großes Abenteuer. Die Kinder haben auch Spaß dabei. Wir fahren zusammen mit zwei, drei Familien.

Doch diesen Sommer fällt die Reise aus, denn Kind Nummer 7 ist unterwegs. Im August soll es geboren werden. Mahmoud, der zweitälteste, ist der einzige Sohn, und das will er am liebsten auch bleiben.
Mahmoud ist der Hahn im Korb. Mit seinen Schwestern versteht er sich aber gut - sagen die. Fatima, die älteste, zum Beispiel:

Fatima

Der ist einzigartig, weil er doch mit Mädchen aufgewachsen ist. Da ist er ganz anders als die anderen. Ok, wenn er mich bittet, Fatima kannst Du mir bitte eine Cola holen, dann mach ich das, weil er mich darum bittet. holt ihm selbstverständlich Cola, wenn er sie darum bittet
Natürlich gibt es auch Momente, in denen sie Stress haben, ergänzt sie, aber die sind selten.

Fatima:
Er íst meist beim Wing Zung oder Breakdance. Ich seh ihn nach der Schule nicht so oft.

Breakdance ist Mahmouds große Leidenschaft. Auch jetzt in den Ferien gibt es für ihn eigentlich nur den Sport, jeden Tag schwimmen, jeden Tag trainieren, mehr nicht. Und wie ist es mal mit einem Buch lesen in den Ferien?, frage ich ihn-

Mahmoud

Nein. Vielleicht wenn auf der Straße ein Plakat hängt, lese ich es.
Aber manche haben Spaße am Lesen und tauchen in die Welt ein. Ich weiß, ich kann lesen, da brauch ich auch nicht üben.

Üben tut er lieber anderes. Ein wenig schüchtern fragt Mahmoud mich nach einer Weile:

Mahmoud
wollen Sie mein Zimmer sehen…
wenn du mir das zeigst? Gerne.

und wir gehen durch die Diele - und einen kleinen Vorraum in den hinteren Teil der Wohnung.

Mahmoud
...ich kann auf einem Bett nicht schlafen, hab nur eine Matratze

und die liegt auf dem Boden. Die Tapete wollte er unbedingt haben, sagt seine Mutter: eine Ziegelsteinmauer, darauf der Graffitischriftzug "Hero", passend zum Breakdance Helden. Von der Decke hängt ein Boxsack, an der Wand ein kleiner Fernseher. Hier trainiert er jeden Tag: wing tsung, eine chinesische Kunst der Selbstverteidigung und Boxen.

Mahmoud
Bei Wing Zung boxt man hintereinander. Das heißt Ketten-Faust-Stoß. So wie eine Fahrradkette.
Und da kriegst du ordentlich Muckis?
Und da tut die Hand nicht weh.
Nen Schreibtisch passt hier gar nicht rein?
Hier war früher ein Schreibtisch, aber der war gar nicht benutzt.
Ich will so viel Platz wie möglich in meinem Zimmer haben.

Immerhin gehört das ihm fast allein. Im Zimmer nebenan sieht das anders aus. Zwei weiße Etagenbetten mit Platz für vier stehen hier, weiße Schränke und ansonsten ein einziger Mädchen-Traum: Vorhänge, Kissen, Teppich alles in rosa.

Mutter Sandra

Am Tag halten sie sich in der ganzen Wohnung auch auf. Zum Schlafen und dann haben sie auch Platz zum Spielen.

Auch die Mädchen haben keinen Schreibtisch. Kein Problem meint die 14 jährige Fatima, für die Schule arbeiten kann sie trotzdem gut, die kleinen Schwestern stören nicht.

Fatima

Die sind auch meistens in seinem Zimmer. Weil ich die dann auch aus meinem Zimmer rausschicke. Dann hab ich genug Platz oder einfach in der Küche. Die sind dann einfach drin und ich bin in der Küche und da kann ich dann alles in Ruhe machen.

Fatima ist ehrgeizig, ist sogar die Beste in ihrer 8.Klasse und gehört - wie ihre Mutter stolz erzählt - zu den Berliner Kindern mit Migrations -Hintergrund, die wegen ihres guten Notendurchschnitts ein Stipendium bekommen. Sie setzt sich oft freiwillig hin und arbeitet. So wie jetzt am Küchentisch, neben ihr die Mutter und die 10jährige Aishe.

Fatima:
Ich mache gerade ein Plakat für meine Deutsch-Präsentation. Ich soll das Leben der Eskimos in Schnee und Eis darstellen. Den Text hab ich schon in meinem Computer abgespeichert.
Wie lange brauchst du dafür?
Ich geb mir viel Mühe dafür und dann ist es mir egal, wie lange es dauert. Ganz ehrlich, ich tu alles dafür, dass ich ne eins kriege.
Ein bisschen anders als dein Bruder?
Ja ganz anders. Der würde sich nicht zwei, drei Stunden hier hinsetzen und so ein Plakat gestalten.
Man muss sich anstrengen und alles tun, was man kann.

sagt Aishe. Ihre Mutter ärgert sich darüber, dass die Kinder allein durch den Namen ihres Vaters immer wieder gegen Vorurteile ankämpfen müssen.

Mutter

So bald sie sagen El Fahour. Hm. Ja. Ausländische Kinder. Schwierig. Würden meine Kinder meinen Geburtsnamen haben, hätten sie es viel leichter.
Aber das kommt nicht in Frage?
Nein. Warum. Wir stehen dazu. Ich hab den Namen gern angenommen von meinem Mann. Es ist immer die Umwelt. Da werden die Kinder immer gleich so abgestempelt.

Und selbst Mahmoud, der zu Hause kaum etwas für die Schule macht, hat sich für den Rest des Schuljahres viel vorgenommen:

Mahmoud

Ich will versuchen, alles bei drei zu haben. Alles, außer Sport kann bei eins sein.
Ob das klappt? Fortsetzung folgt.