- Foto: rbb Inforadio/Gabriele Heuser

Nahaufnahme vom 24.06.2011 - Ein Jahr Sekundarschule - hat sich die Reform bewährt?

Seit diesem Schuljahr gibt es in Berlin keine Haupt, Real- und Gesamtschulen mehr - sondern nach der Grundschule neben den Gymnasien nur noch die Sekundarschulen. Nun geht das Schuljahr zuende - Gabriele Heuser berichtet.

Die Luft ist raus in der 7d. So kurz vor den Ferien ist an normalen Unterricht kaum noch zu denken. Ausflüge stehen auf dem Programm, zum Tempelhofer Feld oder ins rbb Funkhaus. Dabei geht der Blick schon zurück - wie war denn das erste Jahr an der neuen Sekundarschule?

3 Schüler - wie war das Schuljahr

Das erste Jahr Schule war gut. Hat Spaß gemacht, aber wir hatten richtig oft früh Schluss, weil etwas ausgefallen war.
Die Schule gefällt mir. Im Unterricht ist es eigentlich auch schön. Das kommt auf die Fächer an. Manches fällt mir leicht und Manches schwer. Aber die langen Stunden haben mir nicht gefallen.
Da muss man sich erst dran gewöhnen oder? Ja. Aber jetzt ist auch nicht mehr so schlimm, wenn man mit den Freunden ist und so.
Also es hat mir sehr gefallen. Der Stoff ging noch ganz ok. Am Anfang war es sehr chaotisch. Es gab keinen richtigen Stundenplan. Aber es hat sehr schön harmoniert. Aber eigentlich haben sich alle zusammengeschweißt. Die 7d ist ein Traumteam.

Offenbar fühlen sich die Schülerinnen und Schüler w o h l in dieser Mischung trotz aller Schwierigkeiten und der großen Bandbreite an Interessen und Leistungsvermögen. Drei von ihnen werden auf dem Zeugnis stehen haben: Klassenziel nicht erreicht. Dennoch haben vor allem die, die vorher auf die Hauptschule gegangen wären, enorm profitiert von der neuen Schulform, sagt Klassenlehrerin Gabriela Lehnen. Das ist im Laufe des Schuljahrs deutlich geworden.

Lehrerin Gabriela Lehnen [rbb / Heuser]

Gabriela Lehnen

Nach wie vor ist es so, dass die Leistungsstärkeren die Leistungsschwächeren mitziehen.

Allerdings nur, wenn das Tempo nicht zu schnell wird. Das wiederum finden die Guten nervig:

Yunus

Ich persönlich denke, in einer Klasse in einer Realschule würde ich mehr lernen und mich besser auf die Sachen konzentrieren als hier auf einer Sekundarschule. Ich langweile mich dann auch, weil das ist nicht so auf meinem Niveau.

sagt Junus und auch Chahira stören die vielen Ablenkungen und Zwischenfragen mancher Klassenkameraden.

Frau Lehnen (li) und Chahira (re) - Foto: rbb Inforadio/Gabriele Heuser

Chahira

Irgendwie hat sich das gebessert, aber manchmal tun immer noch so, als wenn sie nichts wissen. Dann schalten die alles irgendwie aus.
Fühlst Du dich denn wohl da oder könnte es für dich noch mehr geben.
Manchmal schon halt. Es nervt ja, wenn jemand das schon fünf mal erklärt hat, dann nervt es, wenn man immer wieder das gleiche hört. Dann tickt man irgendwie aus. Dann sitze ich so rum und weiß nicht, was ich machen soll.

Da sind die Lehrer noch mehr gefordert, das weiß Gabriela Lehnen inzwischen. Auch sie hat das erst lernen müssen, denn solche Schüler hat die frühere Hauptschullehrerin bislang nicht unterrichtet. Ihre persönliche Bilanz:

Gabriela Lehnen

Ich seh das hier alles sehr sehr positiv. Ich bin eigentlich total begeistert, a) von meiner Klasse und b) auch von dem Leistungsvermögen. Ich freue mich, dass ich jetzt, wenn ich meinen Unterricht zu Hause vorbereite, dass ich diesen Unterricht auch wirklich los werde und das hinterher auch noch abfragen kann.

Doch ein besseres Angebot für die unterschiedlichen Leistungsniveaus muss sein, darin sind sich die Lehrer im Team 7 einig. Auch darin, dass sie im nächsten Schuljahr die 3 Projektstunden vom Freitag anders nutzen wollen - nur wie, das wird auf der letzten Jahrgangskonferenz vor den Sommerferien noch heftig diskutiert.

Konferenz: Das würde jetzt heißen, Stärkung der Hauptfächer.
Das heißt jetzt mindestens eine Mathe-Stunde mehr die Woche anbieten für jede Klasse. Das heißt, dass jede Klasse hat am Tag mindestens eine Stunde Mathe, weil sie es ganz ganz dringend brauchen. Und jeden Tag pro Woche eine Stunde Deutsch.
Aber in diesem Zusammenhang kann ich natürlich gleich sagen, die Biologiefachkonferenz hat getagt und möchte gerne den Rahmenplan mehr der Realschule entsprechend, Biologie wieder in den achten Jahrgang aufnehmen. Es ist normalerweise an der Realschule so, dass zwei Stunden Physik, zwei Stunden Chemie und zwei Stunden Biologie stattfinden. Gut. Wir würden jetzt sagen, zwei Stunden Physik, eine Stunde Biologie und eine Stunde Chemie und das als Nawi.
Wie sieht denn das jetzt aus mit ner Chemielehrerin?

Da kann ihr Schulleiter Pawollek wenig Hoffnung machen, denn nach den bisherigen Berechnungen wird er kaum zusätzliches Personal bekommen, sagt er. Und selbst wenn er mehr Lehrerstunden bewilligt bekäme weiß er nur zu gut, dass er für seine Schule in Neukölln kaum junge Lehrer fände.

Schulleiter Pawollek

Weil die Nachfrage in Berlin im Moment so groß ist, dass Diejenigen, die eine Festanstellung bekommen, können sich eher an Bezirken orientieren, die nicht Neukölln, nicht Lichtenberg oder nicht Berlin-Mitte heißen.

Auch aus seinem Team 7 hat sich eine Lehrerin um-beworben, andere kämpfen mit den schwierigen Bedingungen, erzählt mir Detlef Bachmann, der ehemalige Realschullehrer. Er etwa damit, dass er beinahe regelmäßig Vertretungsstunden in anderen Klassen übernehmen muss.

Detlef Bachmann im Lehrerzimmer [rbb/Rehkopf]

Detlef Bachmann

was soll ich mich reinhängen in Teilungsstunde, wenn ich sie doch nicht geben kann. Das ist einer der wesentlichen Knackpunkte unter denen wir auch leiden. Bei 25 Schülern in der Klasse und keinem zweiten Lehrer drin und dann dieser Leistungsbandbreite, die wir haben, ist das ausgesprochen schwierig, da immer hinterher zu kommen. Aus meiner Sicht kann man das nicht leisten. Das geht nicht.

Diese Erfahrung wirkt sich natürlich auch aus auf die Motivation der Lehrer, meint er.

Detlef Bachmann
Ich denke, dass die Kollegen der 7. Klassen alle recht motiviert waren, bevor das losging. Der großen Motivation ist jetzt im Laufe der Zeit mit Sicherheit die Ernüchterung gefolgt. Das beobachte ich bei mir auch. Und wenn das so weiter geht, wenn wir also weiter feststellen, dass uns das Personal fehlt, dann wird das mit der Ernüchterung auch noch weiter runtergehen und irgendwann in Frust umschlagen. Da gehe ich von aus.

Bei den Eltern ist diese Frustration noch nicht angekommen. Im Gegenteil - alle, die sich äußern, sind sehr zufrieden mit dem Engagement der Lehrer. Auch Nihal Acinci, deren Tochter Abitur machen will und zum Halbjahr in die Klasse gekommen ist. Das Gymnasium war nichts für sie, aber auf der Sekundarschule läuft es nun prima, erzählt die Mutter. Auch die Noten sind ok.

Nihal Akinci

Ja, war ich sehr zufrieden, also jetzt zwei minus oder drei plus und dann wieder mal ne zwei. Und sie war halt auch entspannter und mir ging es auch dabei gut. Deswegen, sage ich mal so, im grünen Bereich.

Wie bei den anderen Eltern ist auch bei ihr das Vertrauen in die Lehrer groß:

Das erste Jahr in der Sekundarschule ist fast vorbei - jetzt freuen sich alle aus der Klasse vor allem auf eines:

Schüler: ich freu mich auf die Ferien, auf die Zeugnisse ein bisschen, weil ich jetzt weiß, dass ich zwei zweien auf dem Zeugnis hab.
Auf die Ferien auf jeden Fall, aber dann noch in der achten Klasse auf die Klassenfahrt.
Freust Du dich auch auf die Ferien?
Ja natürlich. Die Schule ist halt schwer und da kann man den Kopf freischalten und so

Doch etwas wollen sie zum Ende des Schuljahres noch auf jeden Fall loswerden:

Ganze Klasse: Die ganze Klasse 7d der Röntgenoberschule wünscht ganz Berlin und Brandenburg schöne Sommerferien.