Ein Teil der mehr als 600 Kilometer langen Menschenkette, hier in Estland, durch die drei baltischen Republiken Lettland, Litauen und Estland, aufgenommen am 23.08.1989. (Bild: dpa)
Bild: RIA Nowosti

- "Es lag eine seltsame Spannung in der Luft"

Frank Drauschke erinnert sich an seinen Sommer 1989. Der Ost-Berliner reiste damals auf eigene Faust ins Baltikum, was eigentlich nicht möglich war. Im August 1989 wurde er Teil der längsten Menschenkette der Geschichte, des "Baltischen Weges". Sie ging über 600 km, von Vilnius über Riga nach Tallinn.

Frank Drauschke ist in Prenzlauer Berg und Weißensee aufgewachsen, nicht weit weg von der Mauer. Wie hat er den Sommer 1989 erlebt? Wie war die Stimmung kurz vor dem Mauerfall?

"Es lag eine seltsame Spannung in der Luft, niemand wußte so richtig, was passiert", erinnert sich Drauschke. Er selbst nutzte den Sommer 89 für eine besondere Reise. Eigentlich durfte man nur mit einer organisierten Reisegruppe ins "befreundete" Ausland reisen. Doch eine solche Pauschalreise interessierte ihn nicht. Über einen Artikel in der in Oppositionskreisen unter der Hand weitergereichten Zeitschrift "Arche Nova" erfuhr Drauschke von der Möglichkeit, mit einer Einladung auf eigene Faust in die Sowjetunion reisen zu können. Er nutzte die Chance, schrieb eine Umweltgruppe in Riga an und bekam eine Einladung, mit der er ins Baltikum reisen durfte.

Frank Drauschke: alte Dokumente - Foto: rbb Inforadio/Jana Ebert
Der Artikel in der Zeitschrift "Arche Nova", Fotos und der DDR-Ausweis

"Freiheit, die wir in der DDR nicht kannten"

Gemeinsam mit einem Freund, der sich ebenfalls eine Einladung besorgt hatte, ging es los. Mit dem Flugzeug ging es mit Aeroflott über Leningrad nach Riga. Auf eigene Faust wollten die beiden dann durch die drei baltischen Staaten trampen. An der Küste entlang sind sie weiter nach Tallinn. Offiziell erlaubt war das freie Herumreisen nicht. "Es war natürlich ein Graubereich. Wir waren zwar legal im Land, aber eigentlich durfte man sich nur in dem Bereich aufhalten, für den man die Einladung hatte", so Drauschke. "Aber wie alles im Osten war es ein wenig gummiartig und flexibel."

Eine heikle Situation erlebten die beiden in Tallinn. Am Flughafen wurde sein Freund kontrolliert und aufgefordert, innerhalb von 24 Stunden das Land zu verlassen. Die Angst des Freundes überwog, er trat die Rückreise an und Drauschke zog alleine weiter.

Menschenkette "Der Baltische Weg" war berauschend

Zufällig wurde Drauschke am 23. August 1989 Teil der Menschenkette "Baltischer Weg". Am Jahrestag des "Hitler-Stalin-Paktes", der besiegelt hatte, dass die baltischen Länder der Sowjetunion zugeschlagen wurden, organisierten Oppositionsgruppen in den drei baltischen Ländern eine Menschenkette. Sie führte über 600 km von Vilinius über Riga nach Tallinn.

Wie ließ sich so eine riesige Aktion ohne Handys und Internet organisieren? Über Handzettel und Radio hatte Drauschke von der Aktion erfahren. "Kofferradio war das Twitter der damaligen Zeit", schmunzelt er. "Um 19 Uhr wurde über Radio der Gong ausgegeben, dass man die Menschenkette schließen sollte. Ich hatte das große Glück im Zentrum von Riga bei diesem historischen Ereignis mit dabei zu sein."

"Es war total berauschend. Es war sozusagen das erste Mal eine freie Demonstration, freie Meinungsäußerung von Menschen auf der Straße zu erleben", schildert Drauschke seine Emotionen. So eine Demonstration sei zum damaligen Zeitpunkt in der DDR noch undenkbar gewesen. Dort habe sich das Leben noch "wie in der Steinzeit" angefühlt.

Projekt "Europeana" sammelt Erinnerungen

Nach dem Fall der Mauer studierte Drauschke Geschichte. Heute ist er Geschäftsführer des historischen Forschungsinstituts "Facts & Files Berlin".  Gerade kümmert er sich um das von der EU geförderte Projekt "Europeana 1989". Europeana sammelt Erinnerungen, Fotos und Dokumente von Zeitzeugen und stellt sie im Netz allen Interessierten zur Verfügung. "Wir machen ein Archiv von privaten, historischen Dokumenten", erklärt Drauschke.

"Der Sommer und der Herbst 89 waren die wichtigsten Ereignisse in meinem Leben", lautet das Fazit des Historikers.

 

 

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