Journalist Ulrich Wickert (Bild: rbb/Freiberg)
Bild: Klaus Dieter Freiberg

10 Ideen - Das braucht Deutschland - Idee 10: Ulrich Wickert

Ulrich Wickert ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Er war Korrespondent in den USA und Frankreich, hat viele Jahre die Tagesthemen im Ersten moderiert und hatte auch immer einen Blick auf das große Ganze: Auf Parteien, Politiker, auf den Staat, auf uns, die Bürger, auf das, was uns zusammenhält und auch das was uns manchmal trennt oder aufregt. Er hat mehr als 20 Bücher zu all diesen Themen verfasst und deshalb fragen wir Ihn in unserer Gesprächsreihe.

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Sylvia Tiegs: Also brauchen wir ein bisschen weniger Aufregung und Emotionen und ein bisschen mehr Verstand, obwohl wir doch eigentlich ziemlich nüchtern sind als Deutsche, sagt man uns doch nach?

Ulrich Wickert: Ja, aber wir sind auch angstgetriebene Menschen. Also wir sind da nicht so entspannt wie zum Beispiel die Italiener oder die Franzosen oder die Spanier, sondern wir sind eher Angstgetriebene: "Oh Gott, oh Gott mache ich es richtig?"

Sylvia Tiegs: Aber viele haben schon so reagiert, vielleicht auch befeuert von den Medien - Brexit? Oh Gott, oh Gott, oh Gott, Trump? Oh Gott, oh Gott, oh Gott, Le Pen in Frankreich vielleicht Präsidentin? Oh Gott, oh Gott, oh Gott, Türkei weiß man alles nicht, ach und die vielen Flüchtlinge und und und und - zerreiben wir uns ein bisschen? Es ist aber auch schon viel los, das muss man ja sagen.

Ulrich Wickert: Ja, natürlich ist viel los, aber ich sag, es gab andere Zeiten, da war noch viel mehr los. Da muss man einfach mal sagen: Ok, was betrifft mich Herr Trump? Ja, der ist weit weg, jetzt machen wir uns irre Sorgen, ob der vielleicht dazu führt, dass wir 100.000 Arbeitsplätze verlieren. Ja meine Güte, ganz ruhig, ich meine, in seinem Kabinett haben ja mittlerweile schon einige ihre Arbeitsplätze verloren, weil sie zu wenig von Politik verstehen. Nein, ich sage immer; Erstmal ruhig sein, gucken und nicht immer gleich dieses Angst, Angst, Angst. Ja, ich lese in der deutschen Presse, die besser informiert sein sollte, dass Frau Le Pen jetzt Präsidentin werden kann. Frau Le Pen? Nein, sie müssen, um Präsidentin zu werden, mindestens 18 Millionen Stimmen bekommen, der Front National hat nie mehr als 8 Millionen Stimmen überhaupt bekommen. Also da können sie ganz klar ausrechnen, die wird nie gewählt werden. Das hängt auch mit diesem Wahlsystem zusammen, erster Wahlgang, zweiter Wahlgang. Da brauchen wir uns also keine Gedanken machen. Brexit wird uns weniger betreffen, als es die Engländer betreffen oder den Briten betreffen wird. Und bei Trump, da müssen wir halt sehen, wie das läuft. Da müssen wir uns nicht aufregen, sondern da müssen wir einfach ganz entspannt sagen: "Ok, gucken wir mal wie es läuft". Denn wir merken ja schon, er kommt auch mit seinen ersten Dekreten nicht unbedingt durch. Wir sehen, dass er plötzlich auch einen Verteidigungsminister hat, der doch die NATO ganz wichtig findet und einen Außenminister, der auch ganz anders und vernünftig redet. Also immer gleich in der Zukunft schon das Schwarze zu sehen, das ist nicht mein Ding.

Uli Wickert spricht mit Sylvia Tiegs (Bild: Dieter Freiberg)
Bild: Klaus Dieter Freiberg

Sylvia Tiegs: Weniger Angst haben, ein bisschen mehr Mut und Sie haben eingangs gesagt, wir müssen uns auch ein bisschen gegenseitig erziehen. Das ist das, woran viele aber im Moment das Gefühl haben, sie scheitern. Man spricht so mit seiner Gruppe, mit seinen Bekannten, man ist so unter sich, man versichert sich gegenseitig, wie blöd die Anderen sind. Wie schaffen wir denn das, dass wir miteinander reden, auch wenn wir total unterschiedliche Meinungen haben bei Flüchtlingen, bei Trump von mir aus, was weiß ich?

Ulrich Wickert: Ich glaube, dass wir uns klar machen müssen, AfD kriegt vielleicht 10 %, das bedeutet 90 % sind dagegen. Das ist doch auch schon eine ganz klare Zahl. Und was ich erlebe ist eigentlich etwas sehr Positives. Ich erlebe, dass es immer mehr Leute gibt, nicht nur junge Leute, auch Leute des mittleren Alters, die sagen: Wir tun jetzt was. Zum Beispiel in Frankfurt, da gibt es eine Gruppe die sagt, wir gehen jetzt jede Woche einmal positiv für Europa demonstrieren. Ja, da ist jemand aufgewacht und hat gesagt, Mensch, wir sagen jetzt nicht, wogegen wir sind, wir sagen jetzt mal, wofür wir sind, auch das ist ganz wichtig. Und wenn ich sehe, plötzlich wachen Leute auf und sagen, wir machen jetzt etwas, dann ist das ein sehr positives Zeichen.

Sylvia Tiegs: Also wäre aus Ihrer Sicht so ein bisschen für uns Deutsche 2017: "Macht euch mal ein bisschen locker, nicht so viel rumjammern, nicht mehr so viel Angst haben".

Ulrich Wickert: Sagt doch mal wofür ihr seid! Tut doch mal was dafür! Tut was dafür! Engagiert euch, ob das nun in Vereinen ist oder ob das in politischen Parteien ist, ob das in Gewerkschaften ist, tut was! Guckt nicht, meckert nicht, tut was!

Sylvia Tiegs: Und wenn nun doch einer kommt und sagt "Ja, Herr Wickert, Sie haben gut reden! Ich möchte nicht so viele Flüchtlinge haben, ich wollte Griechenland nicht retten, ich wollte auch die Banken nicht retten, ich werde ja gar nicht gefragt!"

Ulrich Wickert: Ja, bitte schön, dann muss man mal sagen, "Ja, was willst du denn? Kannst du mir mal sagen, was du willst?"

Sylvia Tiegs: "Mehr Geld für uns, mehr Geld für die Deutschen, den Arbeitslosen helfen!"

Ulrich Wickert: Ja, na gut, aber das sind dann eben diejenigen, wo man sagen muss, wir müssen gleich mal ernsthaft reden miteinander.

Kommentar

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2 Kommentare

  1. 2.

    Wenn die Spitzen aus Politik, Wirtschaft und ihre Klakateure die Karre ganz tief in den Dreck gefahren haben, dann ruft man den Bürger zu mehr Engagement und Zivilcourage auf. Frag bloß nicht nach WER WIE WAS WIESO WESHALB WARUM. Sie suchen einen Dummen, der die Zeche zahlt. Seid mal ein bißchen locker! Bei den Südländern sieht es noch viel schlimmer aus und die legen trotzdem entspannt die Beine hoch. Und mit den Miesmachern reden wir nicht, die verderben einem nur schöngefärbte Weltsicht.

  2. 1.

    Mitzugestalten und konstruktiv zu kritisieren statt sich lediglich passiv zu beschweren ist auch meiner Meinung nach besser. Bildung zu fördern ist eine weltweit höchst dringliche Aufgabe. Anfügen möchte ich aber auch noch, daß es durchaus auch manche Journalisten bzw. Medien-Mitarbeiter sind, die das Gefühl: -Angst- benutzen und schüren.

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10 Ideen - Das braucht Deutschland

Zehn kluge Köpfe beziehen im Inforadio Stellung zur gesellschaftlichen Lage. Künstler, Publizisten und Wissenschaftler wie Anna Thalbach, Ulrich Wickert, Nico Hofmann, Smudo, Klaus Töpfer oder Sineb El Masrar formulieren ihren persönlichen Standpunkt: Was braucht Deutschland? Offenheit oder Abgrenzung, Miteinander oder Konfrontation? Das Ziel: Eigene Ideen formulieren, statt sichauf gängige Parolen zu verlassen. Hier auf inforadio.de können Sie alle Interviews nachhören, nachlesen und kommentieren!