Musiker Smudo von den Fantastischen Vier (Bild: Robert Grischek)
Bild: Robert Grischek

10 Ideen - Das braucht Deutschland - Idee 6: Musiker Smudo

Männer, die Michael Bernd Schmidt heißen, gibt es wahrscheinlich Tausende in Deutschland, aber es gibt nur einen Michael Bernd Schmidt, der sich Smudo nennt. Das ist der Texter und Rapper der HipHop-Band "Die Fantastischen Vier". Smudo macht aber nicht nur Musik, er engagiert sich auch seit vielen Jahren politisch und zwar gegen Rechts. Zuletzt im sächsischen Freital, wo es eine lange Reihe sehr schwerer Übergriffe auf Flüchtlinge und Unterstützer gegeben hatte.

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Sylvia Tiegs: Ich habe heute in der Zeitung die Schlagzeile gelesen: "Demokratie ist Übungssache."

Smudo: Genau, Demokratie ist Übungssache. Finde ich einen super Spruch, weil es ist auch ein bisschen wie: Ich muss mit der Demokratie Styles flexen. Ich muss da draußen den Leuten sagen, was los ist. Man muss auf jeden Fall dafür geradestehen und jeder - und auch ein Künstler und da kann man sich hundert Mal als HipHop-Künstler sagen, ich bin Künstler und ich sage, was ich denke -, man muss trotzdem, finde ich, für eine gewisse Haltung stehen, für eine gewisse Offenheit. Wenn ich jetzt das nicht kann, aus welchen Gründen auch immer ich nicht in der Lage bin, Offenheit zu demonstrieren, weil ich es mir nicht leisten kann oder weil es nicht geht aus irgendwelchen Gründen, trotzdem müssen diejenigen, die das können, immer den anderen zuhören können, auch wenn das ein Nazi ist und auch wenn der Nazi dem Toleranten nicht zuhören kann. Das Schlimmste, finde ich, was man macht, ist, wenn man es ignoriert. Und ich hab es selbst oft, im Alltag ignoriere ich es immer mal wieder ganz gerne aus Bequemlichkeit. Wenn man einen hört, wie er irgendwie einen blöden Spruch benutzt. Das Traurige am Friedlichen ist, dass er halt still ist, ne, und der Säbelrasselnde, der fällt auf.

Sylvia Tiegs: Es gibt auch Leute, die sagen, wir bräuchten eigentlich eine intelligente Rechte, damit wir uns streiten können. Streit gehört zur Demokratie, aber wenn da nichts ist oder wenn da nur gekeift wird?

Smudo: Am Frontverlauf wird natürlich viel gekeift. Ich finde schon, dass es auch eine intellektuelle Rechte gibt natürlich und es fällt mir total schwer, das über die Lippen zu bringen, aber ich stimme dem Gedanken zu, dass man die braucht, um zu debattieren, weil nur eine offene Debatte ist in der Lage, Argumente abzuwägen und sie auch auf einen Wahrheitsgehalt oder sagen wir mal auf ein potentielles Gewicht und auf eine Konsequenz zu überprüfen, um dann gemeinsam in einer Demokratie Entscheidungen zu fällen. Als Beispiel einen aktuellen Streit, den es in der AfD gibt, ob die den Höcke wirklich jemals absägen: Es wäre das Schlaueste für die AfD, sich von dem Radikalflügel zu verabschieden, um eine rechte Kraft zu sein, mit der man debattieren kann

Sylvia Tiegs im Gespräch mit Smudo (Bild: Dieter Freiberg)
Smudo im Gespräch mit Inforadio-Reporterin Sylvia Tiegs (Bild: rbb/Freiberg)Bild: Klaus Dieter Freiberg

Sylvia Tiegs: Was wäre dann dein Rezept? Also reibt euch, zankt euch, streitet euch, aber setzt euch auseinander? Sagen ja viele, ist gar nicht so einfach mit diesem linksliberalen Mainstream, der immer versucht, alles wieder schön zuzudecken.

Smudo: Es ist lustig, weil in meiner Zeit in den 80ern und 90ern war eben das Konservative der Mainstream. Keine Ahnung, ich war da in Gerlingen, einem kleinen Kaff bei Stuttgart, und dort war irgendwie 350 Jahre CDU. Wenn ich heute überlege, dass Stuttgart grün ist, es kommt mir total fremd vor, ich denk mir immer: "Des isch nemme mein Stuttgart. Wo isch denn die Spießigkeit? Wo isch'n des Konservative? Wo isch'n die CDU?“ Damit ich sagen kann, ich bin ein Stuttgarter, wir sind die Rebellen, wir sind "still rebel". Also Fleischhauer hat es ja in diesem Buch "Wie ich aus Versehen konservativ“ oder so* schön beschrieben, dass das auch eine Gegenbewegung ist gegen das Establishment. Und wenn das Establishment jetzt linksliberal ist, ist es völlig klar, dass der Punk von heute eigentlich ein Nazi sein muss, wenn man das mal so betrachtet. Und so gesehen: Genauso, wie wir damals als Linke gefordert haben, man muss doch dem linken Chaoten auch zuhören, muss man jetzt eben den rechten Chaoten auch zuhören, wenn man sagen möchte, ich möchte hier, dass ganz Deutschland debattiert. Und wenn es so ist, dann ist es so, auch wenn es mir total, Meine Güte wahrscheinlich bin ich jetzt der Alte, Stoffelige, der sagt: Früher war es besser. Aber eigentlich ist das nicht so, eigentlich war es früher nie besser.

Sylvia Tiegs: Wie kommen wir dann einigermaßen unaufgeregt durch dieses Jahr?

Smudo: Ich glaube, dass etwas schon mitten im Gange ist, was passiert, von dem ich hoffe, weil ich ein Optimist bin, dass es uns am Ende rettet, ist, dass das Prinzip Politik und Wahlkampf auch sehr emotionalisiert wurde und das ist einfach toll. Momentan haben die Parteien mehr Zulauf als sonst. Viel mehr jüngere Leute sprechen jetzt irgendwie nicht darüber, was gerade ein hippes Album ist, sondern was politisch irgendwie am Bach ist. Ich hab den Eindruck, dass etwas, worunter politisch Interessierte in den 90ern gelitten haben, nämlich an der Politikverdrossenheit, dass es jetzt eine Motivation gibt und das ist schon mal das Gute. Und wir haben vielleicht auch einfach sehr lange, unter dramaturgischen, showgeschäftsmäßigen Gesichtspunkten, einfach in einer politisch relativ öden Zeit gelebt. Dieses Vernünftige die ganze Zeit, dieses ständig miteinander reden und gegenseitiges Verständnis, ist einfach auch vielleicht ein bisschen, man möge mir diesen sexistischen Ausdruck, aber um das, einfach ein bisschen pussymäßig. Jetzt wird auf den Putz gehauen, jetzt geht's ab. Jetzt die Leute gehen auf die Straße sagen: Fick die Presse. Und die anderen sagen: Ihr scheiß Nazis. In den USA wurde nicht der bessere Politiker gewählt, aber der witzigere, unterhaltsamere, emotionalere Politiker. Sicher auch, weil Hillary Clinton einfach wahnsinnig spießig und langweilig rüberkam. Wenn sie jetzt eine andere Granate gewesen wäre, wäre das ein ganz anderer Wahlkampf geworden. Also man sieht, die Emotionen kommen auf den Tisch. Und ich erinnere mich zurück: Wenn in den 70er-Jahren, meine Eltern irgendwelche Bundestagsdebatten angeguckt hatten und da wurde auch anders gesprochen, da haben die aber auf den Putz gehauen. Wenn man sich das aus heutiger Sicht anguckt: Man denkt, die rauchen alle, die haben einen Cognac im Tee. Der Internationale Frühschoppen, die Talksendung am Sonntag um 12, da waren die alle schon besoffen und dann wurde gepichelt und da war Politik Emotion und das war auch eine sehr politische Zeit. Ich erinnere mich, dass meine Eltern in diesem Sog eben auch ein liberales Deutschland wollten, weil sie unter dem Nachkriegs-, konservativen, spießigen Obrigkeits-Deutschland gelitten hatten und jetzt passiert das gerade andersrum. Und ich glaube, wenn man zum Beispiel sieht, wie Schulz als Gegenbewegung zu Merkel über die Emotionen und die klaren Worte kommt. Der hat einen Spruch gesagt, sowas habe ich ja schon lange nicht mehr gelesen, wie er sagte: Da kommt jemand, sagt "America First" und dann regiert er im kleinsten Karo. Was ist das, hab ich ja noch nie gehört, da kann man richtig was vom Vokabular lernen. Da muss ich an Adenauer denken, der mal gesagt hat: Die einen kennen mich, die anderen können mich. Solche Sprüche musst du bringen, da war ich auch echt immer ein großer Gabriel-Fan, so umstritten er auch ist: Ich fand es immer toll, wenn da so drei, vier derbe Sprüche kommen. Und das wird die Leute mitnehmen und das passiert gerade. Und dass wir auch darüber gerade hier reden, dass darüber viel gesprochen wird, auf Schulhöfen mehr als vorher gesprochen wird über Politik. Das zeigt mir schon, dass da sich wirklich was bewegt und ich bin eigentlich guter Hoffnung, was die Bundestagswahl angeht. Mein ganz persönlicher Wunsch wäre: Ein bisschen mehr Markiges wie von Schulz, von mir aus eine nicht-mitregierende, aber mit debattierende rechte Partei und das wäre schon mal ein Weg, die fanatischen Ränder wieder klein zu bekommen.

Sylvia Tiegs: Also nicht alles glätten, Decke drauf, Ruhe im Karton?

Smudo: Da wir ja jetzt in einer Zeit leben, in der, sagen wir mal, vertikal die Information mehr fließt als noch vor 20, 30 Jahren, müssen wir eben auch damit rechnen, dass die Vielfalt der Gesellschaft viel mehr zu sehen und zu spüren ist und das wird sich wohl politisch auch abbilden, das muss man ja eigentlich hoffen. Vermutlich ist es genau das Richtige nach einer großen Koalition.

Sylvia Tiegs: Danke, Smudo, für das Gespräch.

Smudo: Das war's schon? Ich hab das Gefühl, ich bin erst in Fahrt gekommen!

Kommentar

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1 Kommentar

  1. 1.

    Ich bin erstaunt. Soviel Einsicht und Realitätssinn hätte ich von links außen nicht erwartet. Ein Beispiel, dem inforadio gern folgen darf: Dialog statt Front machen . . . mehr Vernunft und Sachlichkeit . . . zuhören, nicht ignorieren. Und folgender Satz war Balsam für die geschundene Ossi-Seele: „Ich kam als schlauer, liberaler, arroganter Westler mit meiner West-Veranstaltung "Laut gegen Nazis" in diese Stadt am Rande der Republik.“ Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung!

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10 Ideen - Das braucht Deutschland

Zehn kluge Köpfe beziehen im Inforadio Stellung zur gesellschaftlichen Lage. Künstler, Publizisten und Wissenschaftler wie Anna Thalbach, Ulrich Wickert, Nico Hofmann, Smudo, Klaus Töpfer oder Sineb El Masrar formulieren ihren persönlichen Standpunkt: Was braucht Deutschland? Offenheit oder Abgrenzung, Miteinander oder Konfrontation? Das Ziel: Eigene Ideen formulieren, statt sichauf gängige Parolen zu verlassen. Hier auf inforadio.de können Sie alle Interviews nachhören, nachlesen und kommentieren!