Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (Bild: rbb/Freiberg)
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10 Ideen - Das braucht Deutschland - Idee 9: Wirtschaftswissenschaftler Dennis Snower

Der Wirtschaftswissenschaftler Dennis Snower ist in Österreich geboren, aber, wie man vielleicht am Namen hört, Amerikaner. Er leitet das Weltwirtschaftsinstitut in Kiel und er pendelt zwischen der alten und der neuen Welt regelmäßig hin und her. Dennis Snower hat also einen Blick von außen wie auch von innen auf Deutschland. Hat er Ideen, was uns in diesem Jahr voranbringen kann? Das wollten wir von ihm wissen.

Sylvia Tiegs: Willkommen im Inforadio, Herr Snower.

Dennis Snower: Freut mich!

Sylvia Tiegs: Herr Snower, Sie haben am Tag nach der US-Wahl gesagt: Die amerikanische Gesellschaft ist so zerrissen, dass beide Teile nichts mehr voneinander wissen. Sind wir in Deutschland auch schon so weit?

Dennis Snower
: Ich glaube, wir fahren in diese Richtung und wir sollen uns die Gefahr immer vor Augen halten, denn dann können wir was dagegen tun. Es ist nicht so einfach, weil die sozialen Medien spalten, vereinen weniger. Wir haben die Möglichkeit, mit vielen Leuten zu reden, aber wir suchen diejenigen, die genauso denken wie wir.

Sylvia Tiegs: Wir leben in einer Blase, die Einen verstärken sich in ihrem Denken darüber, wie doof die Anderen sind?

Dennis Snower: Wir leben in einem sozialen Echo-Raum. Wir suchen uns die Leute, die so denken wie wir und wir kommunizieren mit ihnen. Und das ist eine große Gefahr. In einer Demokratie gibt es viele unterschiedliche Menschen und die Regierung muss legitim sein und daher müssen die Menschen eine gemeinsame Identität entwickeln, um dem Land eine Legitimierung zu geben.

Zitat

Wir haben jetzt einen großen digitalen Wandel vor uns, der vorhersehbar ist. Und um den zu bewältigen, brauchen wir eine Revolution in der Bildung und der Ausbildung und in der Beschäftigungspolitik."

Sylvia Tiegs:  Gar nicht so einfach. Gemeinsame Identität. Wenn wir mal auf Deutschland gucken, da könnte man ja auch sagen: Wir sind in ziemlich viele Teile gespalten. Sind wir wirtschaftlich gespalten in, ich sage jetzt mal, Mini-Jobber, Mindestlöhner, Aufstocker auf der einen Seite und Gutverdiener bis zu Millionen-Managern andererseits? Ist das eine Spaltung, die Sie auch sehen?

Dennis Snower: Es ist eine Spaltung, aber ich würde es anders ausdrücken. Ich finde, in vielen Ländern, auch in Deutschland, aber noch mehr ausgeprägt in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, gibt es zwei Gruppen, die wachsen. Und das sind die Entmächtigten, die wissen, dass auch, wenn sie sich sehr bemühen und hart arbeiten, sie nicht weiterkommen werden im Leben; und dann gibt es die Abgeschotteten, denen es gut genug geht. Auch wenn die Welt untergeht, wird es ihnen weiterhin gut gehen. Und beide Gruppen haben wenig von der Allgemeinheit, von der Gesellschaft. Und unsere Herausforderung wird sein, die Entmächtigten zu ermächtigen und die Abgeschotteten sozial wieder zu integrieren.

Sylvia Tiegs: Nun gibt es ja inzwischen sogar von führenden Ökonomen, von Kollegen von Ihnen, die Unterstützung für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Darin sehen ja viele eine große Lösung für viele, viele Probleme. Zahl doch jedem eine bestimmte Summe ohne Verpflichtung und dann hast du erstmal Grund in der ganzen Sache drin.

Dennis Snower: Ich glaube, angesichts des großen technologischen Wandels, was auf uns zukommt - Maschinen werden in absehbarer Zeit Routinearbeit übernehmen und nachdem sie das getan haben, werden sie vorhersehbare Arbeit übernehmen - und was geschieht dann mit den Menschen, die Routinearbeit derzeit machen und später auch vorhersehbare Arbeit? Und das ist ein großes Problem und weil viele Leute dieses Problem nicht lösen können, schlagen sie auch aus diesem Grund, nicht nur aus dem sozialen Grund, ein bedingungsloses Grundeinkommen vor. Ich finde, es ist eine gute Stütze für kurze Zeit, aber wenn das als Allheilmittel gesehen wird, dann ist es nicht nur eine besonders dumme Idee, es ist auch eine schädliche Idee. Denn so ein Grundeinkommen ist nicht anders als eine Unterstützung für langfristige Arbeitslose. Und indem wir langfristige Arbeitslose unterstützen, ohne sie in die Beschäftigung zu integrieren, ohne sie zu ermächtigen, machen wir sie dadurch hilfloser als sie schon waren. Und Menschen sind glücklich, wenn sie sich ermächtigt fühlen und ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das Gegenteil tun. Daher sollten wir viel mehr denken über: Was sind die Möglichkeiten, die wir haben, Menschen zu ermächtigen? Aktive Arbeitsmarktpolitik, Bildung, Ausbildung kann in diese Richtung ziehen. Grundeinkommen ist eine Absicherung und das ist nützlich, um die Unsicherheit auf kurze Weile zu überdauern, aber langfristig, glaube ich, führt das in genau die falsche Richtung.

Sylvia Tiegs: Haben Sie den Eindruck, dass Deutschland im Jahr 2017 auf diesem Pfad wandelt? Dass es erkannt hat, dass seine Politiker erkannt haben: Wir müssen uns auf die Globalisierung einstellen, wir müssen verstehen, dass Arbeitsplätze verloren gehen werden im großen Rahmen in den nächsten Jahren durch die digitale Revolution, durch Automatisierung? Oder klammern wir uns doch noch zu sehr an unsere Erfolge als Exportweltmeister oder Vize-Weltmeister und setzen auf Rezepte, die vielleicht nicht mehr ewig greifen können?

Dennis Snower: Ja, wir klammern uns an die Vergangenheit und in der Zukunft, wenn die Digitalisierung voranschreitet, werden wir wirtschaftlichen Erfolg haben, aber es wird weniger und weniger Beschäftigung dadurch geben. Und daher werden diejenigen, die die Möglichkeiten besitzen, große Netzwerke zu betreiben, die Inhaber der Roboter und so weiter, die werden schöne Gewinne machen. Aber für diejenigen, die heutzutage Routinearbeit machen, sieht die Zukunft ganz anders aus. Und daher glaube ich: Wir sind nicht auf dem richtigen Pfad, wir haben jetzt einen großen Wandel vor uns, der vorhersehbar is. Und um den zu bewältigen, brauchen wir eine Revolution in der Bildung und der Ausbildung und in der Beschäftigungspolitik.

Sylvia Tiegs: Wie würde die aussehen?

Dennis Snower: Wir können leicht erkennen, was in der Zukunft gefragt sein wird, was Maschinen schwer tun können. Maschinen können kreativ sein, aber nicht auf menschliche Art. Menschen können viel vielschichtiger kreativ sein und Menschen haben soziale Fähigkeiten, die Maschinen wahrscheinlich nie haben werden. So, auf diese zwei Sachen müssen wir uns stützen, auf Kreativität und soziale Kompetenz. Und wenn wir das verbinden mit unserem technischen, professionellen Wissen, das Traditionelle, dann stehen wir in der Zukunft gut da. Wenn wir es nicht tun, dann ist es absehbar, dass Maschinen unsere Arbeit in der Zukunft viel billiger machen werden als wir. Warum? Nach dem Mooreschen Gesetz erhöht sich die Produktivität der Maschinen in einem sehr rasanten Tempo. Alles verdoppelt sich alle zwei Jahre. Und auch wenn das in der Zukunft etwas langsamer sein wird, dieses Produktivitätswachstum können Menschen nie erzielen. Und daher müssen wir uns auf unsere komparativen Vorteile besinnen.

Sylvia Tiegs: Können Sie das übersetzen?

Dennis Snower: Das bedeutet, Menschen haben besondere Fähigkeiten, die Maschinen nicht haben - und diese Fähigkeiten müssen wir weiterhin ausbauen.

Sylvia Tiegs: Viele Wähler in den Vereinigten Staaten haben andere Botschaften vernommen im Wahlkampf, nämlich die: Ich bringe eure Jobs zurück. Die Jobs in der Autoproduktion, in der Stahlproduktion und so weiter. Jobs, wie wir sie kannten, Jobs im Grunde von unseren Großvätern und Vätern, die wir aber teilweise auch noch ausgeübt haben. Und sie haben darauf vertraut, dass das klappt, dass der US-Präsident Trump diese Jobs zurückholt, die weggegangen sind. Das könnte ja der ein oder andere hier sich auch wünschen.

Dennis Snower: Wünschen kann man sich das. Und dass die Sehnsucht nach alten Zeiten jetzt besonders stark ist, das ist auch klar. Aber diese Zeiten sind vergangen und ich glaube, es ist genauso unrealistisch gewesen, dass man sich gewünscht hat, dass die alten landwirtschaftlichen Jobs zurückkommen vor 400 Jahren, wie wir uns jetzt wünschen, die alten Jobs wieder zurück zu haben. Die Technologie schreitet voran, diese Unternehmen, die die Technologie nicht nutzen, werden den Wettbewerb nicht bestehen und daher haben wir einfach keine Wahl, als uns die Fähigkeiten anzueignen, die in der Zukunft nützlich sein werden. 

Sylvia Tiegs: Jetzt hat sich bei den Sozialdemokraten ein Kanzlerkandidat überraschenderweise herausgeschält, der in den Umfragen blendend ankommt im Moment und der soziale Gerechtigkeit als sein Wahlkampfthema ausgerufen hat. Und er hat auch schon ein bisschen skizziert, wie er das machen möchte, staatliche Alimentierung etwas länger zahlen, Arbeitslosengeld I und Ähnliches. Das klingt mir nicht nach den Visionen, die sie eben entworfen haben.

Dennis Snower: Nein, meine Visionen gehen in eine andere Richtung. Es geht alles in die Richtung Ermächtigung. Wie eignet man sich Fähigkeiten an, die in der Zukunft gefragt sein werden? Was für Anreize kann man Menschen geben, sich lebenslanges Lernen anzueignen, sodass man dauernd immer verändernde, aber gute Beschäftigungschancen hat? Wie kann man das Lernen zur Lernfähigkeit erhöhen? Wie können wir anpassungsfähiger und besonders kreativer werden? Dafür gibt es viele Möglichkeiten und ich glaube, diese Möglichkeiten müssen wir uns genauer anschauen.

Sylvia Tiegs: Wie bringen wir unsere Politiker und unsere Wirtschaftslenker da hin, dass sie auf diesem Pfad mit Ihnen mitgehen, Herr Snower?

Dennis Snower: Es gibt einen einfachen Weg und es gibt einen harten Weg. Und der einfache Weg führt leider in die Sackgasse. Der einfache Weg ist, den Wählern zu sagen: Wir haben euch gehört. Es besteht eine große Nervosität über die Zukunft. Ihr habt Angst um eure Arbeitsplätze. Die Welt hat sich sehr verändert und wir helfen euch, in die Vergangenheit zurückzukehren. Und das kommt kurzfristig gut an. Und alle alten Rezepte, die in der Vergangenheit gut gewirkt haben, die werden wir euch wieder bieten. Und der harte Weg ist der Weg, den Wählern einfach zu zeigen: Die Welt hat sich geändert, wir müssen in der Realität bleiben und deswegen müssen wir uns den neuen Herausforderungen stellen. Das kann ein tolles Erlebnis werden, denn wenn man sich neue Fähigkeiten aneignet und neue Herausforderungen meistert, dann hat man etwas geschaffen im Leben, was einzigartig ist, was das Leben wertvoll macht. Aber es erfordert Mut. Und um diesen Mut zu haben, muss der Staat den Wählern, den Bürgerinnen und Bürgern einen Rückhalt geben, dass sie die Unterstützung haben, sich zu bilden, weiterzubilden, neue Jobs zu suchen, ihnen die Möglichkeit zu geben, leicht Jobs zu wechseln und dadurch sich in die neue Welt leichter einfinden zu können.

Sylvia Tiegs: Also das ist das, was Deutschland 2017 vielleicht aus Brexit und Trump-Wahl 2016 lernen könnte? Nicht zurück gucken, nicht immer hoffen, es wird wieder alles wie vor 20, 30 Jahren, sondern nach vorne gucken und mal in die Zukunft gehen?

Dennis Snower: Und dazu ist Deutschland gut gewappnet. Denn nach dem zweiten Weltkrieg hat Deutschland einen neuen Anfang gemacht. Nicht wie viele andere Länder in Europa, dass sie die Vergangenheit ausgeblendet haben, sondern sie haben die Vergangenheit bewältigt. Diese Offenheit brauchen wir jetzt für die neuen Herausforderungen. Die Gesellschaft ändert sich, die Technologien ändern sich, die wirtschaftlichen Verhältnisse ändern sich und wir müsse n genau dieselbe Offenheit haben, die Zukunft zu umarmen.

Sylvia Tiegs: Dennis Snower, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Dennis Snower: Danke!

Kommentar

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6 Kommentare

  1. 6.

    Ich empfand die Gesprächsführung sehr engagiert und kompetent. Wenn die Antworten des Professors nicht in Ihr Weltbild passen, liegt das nicht an den Fragen. Aber mit Ihrer „Erdung“ haben Sie da wahrscheinlich den besseren Überblick. Kein Land der Welt hat seine Vergangenheit länger und gründlicher aufgearbeitet und jeder Schandtat ein Denkmal gesetzt. Wer zahlt sonst noch jedem Geschädigten und Zwangsarbeiter und deren Erben Rente und Schadenersatz? Und die Selbstkasteiungen gehen weiter usw,

  2. 5.

    Ziemlich lebensfremd scheint mir u.a. die Einschätzung, dass Deutschland seine "Vergangenheit bewältigt" hätte. Wie erklärt er die AfD und Schlimmeres? Ein Technokrat ohne Erdung scheinbar. Keine Ideen, sondern ein unkonkreter Theoretiker. Schwache Gesprächsführung, weil aalglatt und ohne Nachfragen. Schade.

  3. 4.

    Nein, wir müssen dem freien Spiel von Märkten, Mächten und Kapital nicht tatenlos zuschauen. Wohin uns Privatisierung, Neoliberalisierung, Öffnung der Märkte, Unterwerfung unter EU-Recht, Euro-Zwangsjacke gebracht haben, kann jeder sehen. Um den Schaden zu reparieren braucht man wieder bewährte Werkzeuge: staatliche Souveränität, um EIGENE Interessen zu vertreten, Protektionismus, um die heimische Wirtschaft zu schützen, Subventionierung von Zukunftstechnologien, Arbeit statt ALG finanzieren.

  4. 3.

    Es fehlt ein neuer Westerwelle, der laut und deutlich sagt, was jeder vernünftige Mensch denkt: Leistung muß sich lohnen + Wer arbeitet muss mehr haben als, wer nicht arbeitet. Außerdem haben wir längst ein bedingungsloses Grundeinkommen und jeder, der seinen Fuß in unser Land setzt, hat höchstrichterlich bestätigt, ein Recht darauf. Die Erfahrungen mit Langzeitarbeitslosen und bestimmten Migranten sind doch eindeutig -> Anspruchsdenken wächst und wird über Generationen weitergepflegt->Sackgasse

  5. 2.

    Die Herausforderung der Zukunft,politisch wie wirtschaftlich heißt Bildung!Die ganze Gesellschaft ist verpflichtet,in ihrer Verantwortung für junge Menschen,die die Zukunft gestalten werden.Eltern, Kindergarten und Schule müssen den Kindern Raum zur freien Entfaltung geben,Neugier auf "Weltwissen" wecken und diese Neugier befriedigen. Sachkunde und Naturwissenschaft in der Grundschule muß gestärkt werden für eine berufliche Zukunft in der technisierten Welt.
    http://www.zauberhafte-physik.net/

  6. 1.

    Ein wirklich kluger Kopf! Da wir über KEINE Rohstoffe verfügen, ist unsere einzige Ressource unser Wissen und Fleiß. Doch statt in Forschung und Bildung zu investieren, geben wir jährlich über 40 Mrd. für Migration aus, die nur zu einem kleinen Teil integrierbar ist, wirtschaftlich und kulturell. Und der Hoffnungsträger der Rot-Grünen macht Wahlkampf mit Investitionen in Arbeitslosigkeit und höhere Sozialleistungen. Das paßt dann wiederum zur laufenden Migration. Zukunftsträchtig ist das nicht.

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10 Ideen - Das braucht Deutschland (Bild: rbb/Freiberg/Grischek)
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10 Ideen - Das braucht Deutschland

Zehn kluge Köpfe beziehen im Inforadio Stellung zur gesellschaftlichen Lage. Künstler, Publizisten und Wissenschaftler wie Anna Thalbach, Ulrich Wickert, Nico Hofmann, Smudo, Klaus Töpfer oder Sineb El Masrar formulieren ihren persönlichen Standpunkt: Was braucht Deutschland? Offenheit oder Abgrenzung, Miteinander oder Konfrontation? Das Ziel: Eigene Ideen formulieren, statt sichauf gängige Parolen zu verlassen. Hier auf inforadio.de können Sie alle Interviews nachhören, nachlesen und kommentieren!